Renaissancedrama „Susanna“: Der Humor des Hexenbrenners

Herzog Heinrich Julius von Braunschweig Wolfenbüttel war ein Mensch der Neuzeit. Hexenverfolgung und Spaß finden in seinem ersten Drama zusammen.

Ein Kupferstich zeigt das Gesicht des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel

Ein Autor mit Sinn für zündende Pointen: Herzog Heinrich Julius war Dramatiker, Fürst und Gelehrter Foto: CC Österreichische Nationalbibliothek / europeana.eu

Sein erstes Drama hieß „Susanna“. Es ist um 1591 entstanden, und selbstverständlich ist das nur der Kurztitel: Die Renaissance hatte eine deutliche Neigung zu mehrstöckigen pompösen Überschriften, die zugleich als Inhaltsangaben fungieren.

Entsprechend heißt auch der Erstling des Herzog Heinrich Julius von Braunschweig Wolfenbüttel in Wirklichkeit „Tragica Comoedia Von Der Susanna/ Wie dieselbe von zweyen alten/ Ehebruchs halber/ fälschlich beklaget/ auch vnschüldig veurtheilet/ Aber entlich durch sonderliche schickung Gottes des Almechtigen von Daniele errettet/ vnd die beiden Alten zum Tode verdammet worden“.

Na, wenigstens Spoiler-Ängste waren ihm offenbar fremd. An dem Stück literarisch zu würdigen ist der Versuch, das Holz der Dialoge zu beleben.

Dafür verzichtet der Herzog erstens auf Verse, zweitens lässt er das niedere Volk eine Art Missingsch sprechen, also ein dialektal gefärbtes Deutsch, ähnlich dem, das vom Ohnsorg-Theater für Touri-Aufführungen und TV-Aufzeichnungen genutzt wird, um verständlich zu bleiben.

Und drittens: Einer dieser Pseudoplatt-Sprecher ist Johan Clant, den das Personentableau als „Morio“ ausweist, das ist ein lateinisches Wort für – Narr. Damit ist also die Idee in Deutschland angekommen, mithilfe von Albernheiten dem Spiel um Leben und Tod die Dissonanz der Moderne einzuschreiben.

Der Narr ist ein Idiot

Seinen ersten großen Auftritt hat Johan Clant schon in der dritten Szene des Stücks, in einem Zwiegespräch mit Helkia, dem Vater der Titelheldin. Und seine Komik bezieht nicht nur dieser Dialog daraus, dass der weise Patriarch zusehends verzweifelt beim Versuch, den törichten Clant zu belehren.

Der nämlich erweist sich, sobald er den Mund aufmacht, als Vollidiot, also als jemand, der die grundlegendsten Sprachregelungen und Wahrheiten nicht respektiert: Neuzeitlich daran ist, dass er sie, anders als Bettelmönche oder andere Idioten des Mittelalters, nicht einzuhalten vermag, weil er sie nicht kennt.

Man hat es nämlich mit einer Figur zu tun, in der die diskursive Radikal-Opposition der Idiotie konzeptionell mit Wahn- und Schwachsinn identifiziert und mit allerlei anderen Erscheinungsformen sozialer Abweichung vermengt werden, „um den sozialen Raum umzustrukturieren“, wie Kulturhistoriker Andreas Urs Sommer in seiner kurzen Geistesgeschichte der Idiotie im Anschluss an Michel Foucault beschrieben hat.

Selten bekommt man diese historische Verschiebung plastischer serviert als hier. Und selten wird auch die Gewalt dieses Vorgangs greifbarer. So beweist Clant seine schreiende Ignoranz, indem er – Achtung, Wortspiel! – den Zauberer, also niederdeutsch „Töuer“ und den Zuber, also den „Töuer, darin man water drecht“ verwechselt. Und er fragt doch tatsächlich, wie blöde kann man sein, ob man denn nicht zaubern müsse?

Vater Helkias ironiefreie Replik ruft dann nachdrücklich in Erinnerung, dass man nicht hexen solle, „denn Gott wils nicht haben, hat auch befolen, man sol keine Zauberer leben lassen, sondern mit Feuer verbrennen.“

Dieser Narr Clant – Obacht, jetzt kommt der richtig große Spaß! – zeigt sich davon zumindest halb beeindruckt: „Dat is nit gut, dat wil gar tho warm syn, et musste ein Mensche verdampen“ – also verbrannt werden ist nicht gut, weil es zu warm wäre und die betroffene Person dabei verdampfen müsse.

Witzig, nicht? Denn das wäre ja doch der Sinn der Prozedur! Er ist echt zum Piepen, dieser Narr: Mit Aufführungen in ganz Deutschland war das Stück damals recht erfolgreich. Und man kann sich vorstellen, wie Heinrich Julius von Braunschweig Wolfenbüttel beim Notieren dieser Pointe in seine Schreibfeder gebissen haben wird.

Von seiner Regierungszeit ist in Wilhelm Gottlieb Soldans „Geschichte der Hexenprozesse“ (1843) überliefert, „dass bei Wolfenbüttel oft an einem Tage zehn bis zwölf Hexen verbrannt wurden“, und einer Chronik zufolge „die Exekutionsstätte von wegen der Menge der daselbst aufgerichteten Brandpfähle wie ein kleiner Wald anzusehen war“.

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