Organspende vom Ehemann: „Nur Urlaub von der Dialyse“

Plötzlich hörten Dörte Frühaufs Nieren auf zu arbeiten. Zunächst ließ sich die Dialyse hinauszögern – dann half nur eine Transplantation.

Hände in Gummihandschuhe nähen offene Wunde

Nach der Nierentransplantation: Ärzte verschließen Wunde. Foto: dpa

HAMBURG taz | Ich bin mit Rückenschmerzen zum Arzt gegangen und war schon fast wieder auf dem Weg aus der Praxis, da kamen meine Nierenwerte. Der Arzt hat mich aufgehalten und mir gesagt, dass ich an akutem Nierenversagen leide. Ich war total entsetzt und konnte das gar nicht glauben. In meiner Familie gibt es da keine Vorgeschichte und ich selbst hatte auch noch nie etwas mit den Nieren. Die Ursache wurde auch später nie ganz geklärt. Damals wurde ich sofort ins Krankenhaus eingewiesen und musste eine Woche bleiben.

Im Krankenhaus haben mich die Ärzte ziemlich hängen lassen. Ich hatte kaum Informationen, wurde nur immer wieder untersucht. Das Wort Dialyse hörte ich nur nebenbei und wusste nicht mehr, als dass ich von einer Maschine abhängig sein würde – womöglich auf Dauer. Ich hatte Angst, weil ich nicht wusste, was kommt.

Mein Problem war aber auch, dass ich mich super fühlte. Mein Rücken war wieder in Ordnung, ich hatte kein Wasser in den Beinen und ich konnte nicht verstehen, dass ich so krank bin. Ich dachte, dass sich die Ärzte irren. Auch an die Dialyse musste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Nach der Woche Krankenhaus bin ich zur Weiterbehandlung zu einer Nephrologin gegangen. Den Begriff kannte ich vorher gar nicht. Das ist eine Nierenspezialistin. Meine Frau Doktor hat mir ganz viel Angst mit ihrer Direktheit genommen. Beim ersten Termin hat sie mir auf den Kopf zugesagt, dass ich sehr sehr krank bin. Aber man konnte bei mir mit Medikamenten die Dialyse herauszögern.

44, arbeitet nach ihrer Nierentransplantation wieder Vollzeit als Sachbearbeiterin bei einer Bank.

Warum ausgerechnet ich?

Ich wollte mein altes Leben möglichst lange aufrechterhalten. Meinen Tagesablauf habe ich wegen der Diagnose nicht geändert, habe noch eine Zeit lang weiter gearbeitet. Ich war wütend und habe mich gefragt, warum ausgerechnet ich. So ein Scheiß. Ich war 40 Jahre alt und hatte mir noch ganz andere Sachen im Leben vorgenommen.

Es ging fast drei Jahre gut. Ich hatte zwar schon einen Zugang für die Dialyse am Arm gelegt bekommen, einen sogenannten Shunt, aber das war nur Vorsorge. Informationen bekam ich vom Bundesverband der Organtransplantierten. Dann verschlechterten sich meine Werte rapide. Ich dachte damals, es sei nur eine Grippe. Nun fühlte ich mich schlapp und musste morgens spucken. Das waren die ersten Vergiftungserscheinungen.

Ich hatte auf die erste Dialyse überhaupt keinen Bock. Zum Glück hatte mir meine Frau Doktor schon vorher die Dialyse-Station in ihrer Praxis gezeigt, um mir meine Sorgen zu nehmen. Auch vor der Maschine hatte ich nach den vielen Untersuchungen keine Angst. Für mich war es am schlimmsten zu wissen, dass ich da vier Stunden liegen muss und Zeit vergeude, in der ich auch arbeiten und produktiv sein könnte.

Drei Mal die Woche, dienstags, donnerstags und samstags. Es war klar, dass ich mich auf die Spenderliste setzen würde – aber die Wartezeit auf eine Niere beträgt im Schnitt acht Jahre.

Nach der Dialyse habe ich mich furchtbar gefühlt – immer. Für viele Menschen ist so eine Behandlung körperlich mit einem Marathonlauf vergleichbar. Der Körper muss verarbeiten, dass das ganze Blut etliche Male rein und raus geschleust wird. Die Frage gehe ich oder gehe ich nicht, hat sich aber nie gestellt. Ohne dieses Ersatzverfahren hätte ich überhaupt keine Chance gehabt. Ich wäre über kurz oder lang gestorben.

Mein Mann hat mitbekommen, wie sehr ich mich zu Hause gequält, immer wieder gespuckt habe. Da ist in ihm die Idee gewachsen, mir eine Niere zu spenden. Ich hatte schon mit 18 Jahren einen Organspendeausweis und habe ihn noch. Mein Mann war früher gegen Organspende. Er wollte sogar meinen Ausweis im Fall des Falles verschwinden lassen. Meine Krankheit hat das geändert. Heute hat er selbst den Ausweis.

Wir haben uns auch damit beschäftigt, dass mein Mann aus der OP nicht mehr aufwachen oder dass mein Körper die Niere abstoßen könnte. Ich habe darüber nachgedacht, aber nicht geglaubt, dass etwas passiert.

Keine Angst vor der OP

Dann folgten Untersuchungen, ein psychologisches Gutachten, um festzustellen, dass mein Mann seine Niere nicht aus emotionaler Abhängigkeit spendet. Und als das alles durch war, bin ich an den dialysefreien Tagen wieder arbeiten gegangen.

Ich wollte nicht zu Hause sitzen und auf den Tag der Transplantation, den 9. Juli 2014, warten. Endlich habe ich mich mit anderen Dingen als meiner Krankheit beschäftigt. Das war einfach cool. Auch die Beziehung zu meinem Mann ist in dieser Zeit noch inniger geworden.

Am Abend vor der OP, in der Uniklinik Lübeck, saßen wir zusammen in unserem Zimmer und haben mordsmäßig über unsere Nachthemden und Stützstrümpfe gelacht. Mein Mann schlug seine hübschen Beine übereinander und es fehlten nur noch die hohen Schuhe. Angst hatte ich nicht, auch wenn es schiefgegangen wäre, hätte mich die Dialyse weiter am Leben gehalten. Die OP war der einzige Weg, um aus dieser Nummer rauszukommen.

Als ich wach wurde, standen vier Ärzte an meinem Bett und sagten mir, dass die Niere angesprungen ist. Ich hatte in der ersten Zeit eine Beule am Bauch. Ich fand es schön, dass ich sie anfassen konnte. Es war real. Dialysen brauchte ich seitdem nicht mehr.

Mein Ziel ist, dass sie 30 Jahre hält. Aber mir ist klar, dass eine neue Niere nur Urlaub von der Dialyse ist. Früher oder später bin ich wieder von der Maschine abhängig. Die Zeit bis dahin will ich aber nicht mit Sorgen vergeuden, sondern mein Leben leben – sonst würde ich meinen Mann verraten.

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