Mutmaßlich illegales Firmennetzwerk: Razzia bei der Geflügelmafia

Staatsanwaltschaft und Hauptzollamt Osnabrück durchsuchten am Mittwoch ein Dutzend Firmen. Sie sollen ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet haben.

Ein Mann an einem Laufband mit Hähnchenteilen füllt einem Kasten

Eine Branche, in der auch bei rechtschaffenen Betrieben schon hart malocht wird: Geflügelwirtschaft Foto: Eraldo Peres/dpa

OSNABRÜCK taz | Der Ruf der deutschen Landwirtschaft ist ruiniert, seit Jahren schon. Skandal folgt auf Skandal. Immer wieder im Fokus der Kritik: die Zustände in der Fleischproduktion, zumal in der Geflügelhaltung. Meist geht es dabei um Tierleid. Aber manchmal liegt der Fokus auch auf der Behandlung von Menschen.

So etwa am Mittwoch, in den frühen Morgenstunden. Über 430 Zollbeamte rückten mit 74 Durchsuchungsbeschlüssen aus, für Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und des Hauptzollamts Osnabrück. Ihr Ziel: ein Dutzend Firmen der Geflügelbranche, spezialisiert auf das Fangen und Verladen schlachtreifer Hähnchen.

So umfangreich war die Einsatzlage, dass eine „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) dafür gegründet wurde, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Retemeyer der taz. Ihr Name sei „Kentucky“ gewesen, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück.

Nach den Razzien in der Region Osnabrück, im Emsland und in der Grafschaft Bentheim, im Münsterland und in Ostwestfalen spricht das Hauptzollamt von einem „mutmaßlichen illegalen Firmennetzwerk“. Den Firmen wird vorgeworfen, so das Hauptzollamt in einer Erklärung, „Arbeitsentgelte vorenthalten und veruntreut sowie ohne die erforderlichen Erlaubnisse Personal ent- oder verliehen zu haben“.

18 Stunden pro Tag schuften, Fahrzeiten unvergütet

Es bestehe der Verdacht, „dass die Unternehmer ausländische Arbeitnehmer ohne die erforderlichen Aufenthalts- beziehungsweise Arbeitsgenehmigungen beschäftigt haben und sie nicht ordnungsgemäß zur Sozialversicherung angemeldet wurden“. Das Fehlen der notwendigen Genehmigungen sei dabei durch einen zum Schein abgeschlossenen Werkvertrag mit einer ausländischen Firma vertuscht worden.

Das Hauptzollamt spricht von Arbeitszeiten von bis zu 18 Stunden pro Tag, von unvergüteten Fahrzeiten von bis zu drei Stunden pro Weg, von durch die Arbeitgeber gestellten Sammelunterkünften, die den hauptsächlich russischen und rumänischen Beschäftigten „oft in einem unzumutbaren Zustand zu hohen Preisen vermietet werden“.

Sebastian Zöppel, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in der Region Osnabrück, kennt solche prekären Arbeitsverhältnisse auch aus seinem Arbeitsfeld. Die NGG ist für Arbeitsbereiche zuständig, die auf den Tod der Tiere folgen. „Wir haben da mafiöse Strukturen“, sagt er der taz.

„Da werden Abhängigkeiten geschaffen, Menschen eingeschüchtert. Und das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit schafft oft keine Abhilfe, denn die Kapos von vorher sind von den Betrieben teils übernommen worden, sind heute als Vorgesetzte angestellt, und die Macht- und Unterdrückungsstrukturen bestehen fort.“

Gewerkschaft fordert flächendeckende Kontrollen

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Osnabrück mache einen „sehr guten Job“, sagt Zöppel. „Aber sie ist leider viel zu schwach besetzt, um flächendeckende Kontrollen zu gewährleisten.“ An den Gesetzen hapere es nicht. „An der Umsetzung allerdings schon.“

Einzelfälle sind solche Arbeitsverhältnisse nicht. „Damit haben wir tagtäglich zu tun“, sagt Zöppel. Vor Ort wird es dann mitunter auch für die Gewerkschafter kritisch: „Zum Beispiel bei Tönnies, am Schlachthof Badbergen. Wir waren da zum Flugblattverteilen. Da kam der Vorarbeiter raus und hat uns bedroht. Er wollte wohl gegenüber den Beschäftigten seine Macht demonstrieren.“

In Osnabrück beginnt jetzt die Zeit der Auswertung des sichergestellten Beweismaterials, darunter Computer und Mobiltelefone. Bis Ergebnisse vorliegen, kann es dauern: „Es ist nicht abschätzbar, wann das fertig ist“, sagt Leon-Marvin Freitag, der Sprecher des Hauptzollamts Osnabrück, der taz. Eine bloße Kontrolle sei der Einsatz nicht gewesen; Freitag spricht von „strafprozessualen Maßnahmen“. Auch „Vermögensabschöpfer“ des Zolls waren vor Ort, haben rund 380.000 Euro „zur Schadenswiedergutmachung der geschädigten Sozialkassen“ gesichert.

Lukas Rittinghaus, Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG Bau) Westfalen, bestätigt die NGG-Einschätzung: „Da findet oft perfide Ausnutzung statt.“ Die IG Bau ist für alles zuständig, was dem Tod des Tiers vorausgeht. Auch Rittinghaus ist oft draußen vor Ort, sucht Kontakt zu den Beschäftigten. „Da werden wir dann häufig ziemlich rabiat vom Hof gejagt“, sagt er.

Menschen- und Tierleid hängen zusammen

Aktionen wie die BAO-Razzia des Hauptzollamts Osnabrück findet Rittinghaus sinnvoll. Aber er sieht ein Problem: Der Zoll ist primär zur Wahrung von Staatsinteressen vor Ort, etwa zur Klärung von Steuerfragen, weniger zur Wahrung der Interessen der Beschäftigten. „Die müssen ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber individuell durchsetzen, durch Zivilklagen“, sagt Rittinghaus. „Und diese Verfahren dauern oft lange, kosten Geld. Das schreckt natürlich ab. Hinzu kommen Sprachprobleme und die Angst vor Konsequenzen im Job.“

Wenn der Zoll vor Ort ist, sei das für die Arbeitgeber ein Abschreckungsfaktor. Aber es gelte, so Rittinghaus, „Strukturen aufzubauen, die verhindern, dass so etwas überhaupt passiert“. Menschen- und Tierleid hängen für ihn zusammen. „Wenn man so unmenschlich mit seinen Beschäftigten verfährt, habe ich starke Zweifel, dass es den Hähnchen, mit denen sie umgehen, besser geht.“

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