Mobiles Kino in Hamburg: Flimmern im Casino

Holger Kraus zeigt Filme an ungewöhnlichen Hamburger Orten, zuletzt eine Bond-Parodie im Casino.

Inszeniert Kino-Erlebnisse über den reinen Film hinaus: "Flexibles Flimmern"-Betreiber Holger Kraus. Bild: Hannes von der Fecht

HAMBURG taz | Die Kugel rollt. Nichts geht mehr. Reinhard Nusset hat zwei hellblaue Jetons auf Rot gesetzt. Die gab es als Begrüßungsgeschenk am Eingang. Nusset steht an einem Roulettetisch im Casino Esplanade in Hamburg. Wie ein Zocker wirkt der 47-Jährige nicht, eher zurückhaltend. Mit dem Blick verfolgt er die Kugel. Sie bleibt auf dem Feld der schwarzen Siebzehn liegen. „Da sind wir schon raus“, sagt er zu seiner Begleiterin und lacht. Ein bisschen Pech ist egal. Zum Spielen ist er eigentlich gar nicht gekommen – sondern zum „Flexiblen Flimmern“.

Das mobile Kino zeigt Filme an außergewöhnlichen Orten in der Stadt. Veranstalter Holger Kraus zeigt seit mehr als acht Jahren alte Streifen, internationale Low-Budget-Produktionen oder Hollywood-Filme im passenden Ambiente – etwa den „Glöckner von Notre Dame“ im Glockenturm der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen oder „Soylent Green“ im Bunker am Hauptbahnhof. „Die Leute lernen Hamburg anders kennen“, sagt Kraus.

Der Filmliebhaber gibt sich mit der passenden Deko bei jedem Film viel Mühe. Unter der Leinwand im Casino liegen pinke Federn und falsche Dollarnoten, ein Union Jack und ein Indianer-Tipi. Der Raum riecht ein wenig nach kaltem Rauch. Zigaretten-Symbole an den Wänden zeigen, dass dies an normalen Tagen die Raucher-Lounge des Casinos ist. Heute läuft hier die Bond-Parodie „Casino Royale“, auf englisch mit deutschen Untertiteln. Die Deko besteht aus Requisiten des Films. Das Tipi brennt während der Schlussszene in einer chaotischen Prügelei im Casino ab. In Hamburg bleibt es heil.

„Der Film ist absoluter Klamauk“, sagt Kraus zu seinen Gästen. Die haben sich für den Abend in der Spielbank richtig schick gemacht. Viele Frauen sind im kleinen Schwarzen gekommen, die Männer im Anzug. Ein „konsumintelligentes Publikum“, sagt Kraus. Er ist der einzige Mann im Raum ohne Jackett, trägt stattdessen Schottenrock und karierte Mütze – ein Outfit wie aus der britischen Komödie. Fünf Regisseure hätten sich an dem Film versucht. Der kam 1967 in die Kinos, später wurde er zur Vorlage für Austin Powers. „Nur mit viel mehr Stil, weil in den Sechzigern alles mehr Stil hatte“, so Kraus. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich aller Teile. „Der Film hat gewisse Längen“, kündigt Kraus deshalb schon vorher an.

Das ist nicht gelogen. In der Komödie kämpft Agent 007 gegen die Geheimorganisation „SMERSH“. Unzählige Agentinnen versuchen James Bond in Schottland erst zu verführen und dann in die Luft zu sprengen. Der Agent entkommt. Ein Ufo entführt seine Tochter, ein fieser Kartenspieler trickst mit einer Röntgenbrille und ein Bösewicht sprengt ein Loch in die Berliner Mauer, zur Freude der Ostberliner. Dem Film ist schwer zu folgen, der echte Bond wäre wahrscheinlich spannender gewesen. Zwischendurch flüstert ein Mann seiner Partnerin zu, sie solle nicht einschlafen. Ein Paar in der ersten Reihe geht.

Gerade wenn Woody Allen als verkappter Fiesling auf der Leinwand auftaucht, gibt es aber große Lacher. Der kurz gewachsene Neffe von James Bond will mit einer Biowaffe alle Frauen schön und alle Männer kleiner als 1,27 Meter machen. „Ganz schön viele Klischees“, entfährt es da einer Besucherin.

Abgestimmt auf den Film ist auch das Essen. Es gibt Club-Sandwiches und Cesar-Salad – zum Glück keinen Haggis. Bei „Soylent Green“ servierte Kraus Kekse, am Ende des Abends stellte sich heraus, dass das Gebäck im Film aus alten Menschen gemacht war. Damit jedes Detail stimmt, kocht Kraus meistens selbst, beim Film „Der Pate“ Risotto für 120 Gäste. Nach der letzten Vorführung der „Feuerzangenbowle“ aß er noch tagelang die übriggebliebenen Schinkenbrote mit Ei zum Frühstück.

Das Flexible Flimmern ist ein Ein-Mann-Betrieb. Der gelernte Eventmanager Kraus kann heute von seiner Leidenschaft für Filme leben – obwohl der Eintritt mit zehn Euro kaum teurer ist als in normalen Kinos. Zu Hause hat Kraus fast 4.000 DVDs im Regal. „Ich verkaufe immer mal welche, damit meine Wohnung nicht aussieht wie eine Videothek.“

Ein Freiluftkino im Sommer könnte Kraus sich vorstellen, einen Film auf den weißen Bauch der Cap San Diego projiziert – vielleicht „Der Mann im Strom“. Auch den letzten Film des verstorbenen Philip Seymour Hoffman, "A Most Wanted Man", würde er gern zeigen, einen Spionagethriller, der in Hamburg spielt und ohne viel Geballer auskommt. „Dafür gibt es Explosionen im Kopf, wenn die Leute Orte wiedererkennen“, sagt Kraus. „Die Rezeption der eigenen Stadt wird zum Hauptdarsteller.“

Für die nächsten zwei Monate stehen schon Termine fest. Darunter ein Filmabend im Haus des Sports mit einer Podiumsdiskussion zum Thema Inklusion. Kraus zeigt den Film „Gold“, der den Weg dreier Sportler zu den Paralympics in London 2012 nachzeichnet. Ende Januar verbindet er einen Filmabend mit einer Kunstausstellung, Mitte Februar einen Film über einen Schäfer aus Siebenbürgen mit einem Konzert mit Volksliedern aus derselben Region.

„Die Leute wollen Kino“, ist Kraus überzeugt – aber sie wollten ihr Filmerlebnis ausdehnen, nicht nach Hause müssen, wenn das Licht angeht.

Als sich James Bond mit Unterstützung amerikanischer Ureinwohner auf der Leinwand des Hamburger Casinos den Weg freigeschossen hat und der Bösewicht in der Hölle gelandet ist, zerstreut sich das Kinopublikum trotzdem recht schell. Einige trinken noch ein Glas Wein an der Bar, Regina Wolf geht noch eine Runde spielen. Die Tische sind jetzt leerer. „Das Ambiente beim Kino im Casino ist einfach außergewöhnlich“, sagt die Heilpraktikerin. Auch der hintersinnige Humor des Films habe ihr gut gefallen. Wolf zählt nebenbei ihre Jetons. Den Begrüßungschip hat sie längst vervielfacht – 110 Euro Gewinn an einem Filmabend, sagt sie und lächelt. „Das reicht für heute.“

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