Länderrat der Grünen: Der Aufstand bleibt aus

Beim Länderrat der Grünen gibt es Küsschen für Annalena Baerbock. Die große Abrechnung mit dem Ja zum EU-Asylkompromiss fällt aus.

Demonstrant mit einem Schild mit der Aufschrift "Keine neuen Morias" beim Grünen-Länderrat in Bad Vilbel

Ein Zeichen an die Grünen: Mini-Protest gegen EU-Asylreform in Bad Vilbel Foto: dpa

BAD VILBEL taz | Zur Kundgebung von Pro Asyl vor der schicken neuen Stadthalle im hessischen Bad Vilbel sind zwei, vielleicht drei dutzend Menschen gekommen. Die Kritik an der realpolitisch motivierten Zustimmung der Grünen zum Asylkompromiss ist eindeutig. Man müsse „Nein zum Europa der Haft- und Elendslager“ sagen, fordert Pro Asyl. Auch Tim van Slobbe, ein Grüner aus Gießen, sympathisiert mit dem Protest. „Man kann bei Menschenrechten keine Kompromisse machen“, sagt er. Er will klarmachen, dass es „linke Grüne gibt, die auf der Seite von Pro Asyl“ stehen. Beim Länderrat in der Stadthalle ist er nur Gast, kein Delegierter. Und er hofft, dass der Länderrat das zögerliche grüne Ja zu einem klaren Nein macht. Doch leider vergeblich.

Emily Büning, Geschäftsführerin der Grünen, versucht in der Halle derweil die Proteste von Pro Asyl einzugemeinden. „Es ist gut, dass da draußen zivilgesellschaftliche Organisationen demonstrieren“, sagt sie. Auch Parteichef Omid Nouripour umarmt rhetorisch Pro Asyl. Die kenne er „schon lange und würden unglaublich tolle Arbeit leisten.“ So klingt sie – die spezielle grüne Harmonie-Dialektik. Die Logik der Macht aber sagt: Deutschland kann nicht erst Ja zum EU-Kompromiss sagen, und am Ende in ein Nein schwenken. Doch die Logik vieler Grüner sagt: Wir dürfen nicht ja zu etwas sagen, das wir grundsätzlich ablehnen. Die Freundlichkeiten Richtung Pro Asyl dienen dazu, das Unvereinbare zu vereinen.

Die Parteispitze setzt auf den Weg der Mitte. Ricarda Lang, Parteichefin vom linken Flügel, ist milde gegen den EU-Asylkompromiss, Omid Nouripour, Realo-Parteichef, ist zweifelnd dafür. Diese Rollenverteilung zielt darauf, den Konflikt einzuhegen und die Affektelage zu schwächen. Lang sagt zu Beginn: „Wir werden nicht in die Nische zurückkehren“. Sie erntet dafür lauten Beifall. Es ist das erste Zeichen dafür, in welche Richtung die Stimmung an diesem Nachmittag im Konflikt „Moral versus Realpolitik“ kippen wird.

Streiten mit viel Rücksicht

Bad Vilbel wird kein Bielefeld zwei, wo damals Farbbeutel auf Joschka Fischer flogen. Der Asylstreit ist zwar ernst. Schließlich haben 80 grüne Landtagsabgeordnete in einem Protest-Brief ein klares Nein gefordert. Aber dieser Streit wird nicht so hart ausgetragen wie der Konflikt um Kriegseinsätze. Erwachsener, gelassener – und mit sehr viel Rücksicht auf Robert Habeck und Annalena Baerbock wird diskutiert. Verantwortung scheint das Schlüsselwort zu sein.

Robert Habeck warnt noch: „Habt keine Sehnsucht nach der Opposition“. Die Grünen würden derzeit von allen Seiten Druck bekommen, aber die Partei dürfe deshalb nicht „konfrontativer werden“ und sich „in die Nische“ zurückziehen. Er benutzt dabei den gleichen Sprech wie die Parteilinke Lang. Dass der Aufstand abgeblasen wird, zeichnet sich früh ab – nämlich als Erik Marquardt ans Rednerpult tritt. Marquardt ist als Flüchtlingsaktivist in die Politik gekommen. Jetzt ist er grüner Abgeordneter im EU-Parlament – und ein scharfer Kritiker des Asylkompromisses. Eigentlich.

Doch Angriffe auf Baerbocks Ja vermeidet auch er tunlichst. „Wir vertrauten unserem Führungspersonal“, sagt er. Er halte die Entscheidung zwar inhaltlich für falsch, aber man müsse ja auch wahrnehmen, dass wir beim Thema Asyl „nicht die Hegemonie haben“. So hisst man weiße Fahnen. Nach der Rede herzt die Außenministerin den EU-Abgeordneten. Also doch kein Familienkrach. Dass man den grünen MinisterInnen vertraue, ist ein immer wiederkehrender Refrain in den Reden.

Baerbock stellte geschickt eigene Zweifel in den Mittelpunkt. Das Ja zum Kompromiss sei für sie eine „51 zu 49“ Entscheidung gewesen. Eigentlich gehe „der Kompromiss für uns Grüne nicht“, aber ein Nein hätte schlimmere Folgen gehabt. Die EU wäre angeschlagen, Italien würde womöglich aus allen EU-Verpflichtungen ausscheren. Baerbock beteuert mehrfach, wie schmerzhaft die Debatte für sie sei. Die Botschaft lautet: Ich bin eine von euch. Wir wollen das Gleiche. Der Applaus für Baerbocks Rede ist überwältigend.

Grüne Gemütslage im Visier

Als Gegenfigur zu Baerbock tritt dann Aminata Touré in den Ring. Die Eltern der Sozial- und Integrationsministerin in Kiel flohen Anfang der 90er Jahre aus Mali nach Deutschland. Der EU-Asylkompromiss sei falsch, sagt sie. Die Grünen dürften sich nicht mehr dafür interessieren, wie Politik ankomme „als für den Inhalt der Politik“. Und schon gar nicht Menschenrechte in politischen Deals tauschen. Touré trifft die grüne Gemütslage. Sie drückt das Gefühl aus, dass man eigentlich lieber Nein sagen würde. Auffällig ist allerdings, was Touré nicht fordert – nämlich die grünen MinisterInnen in der Ampel darauf zu verpflichten, im Kabinett den Asylkompromiss abzulehnen, wenn der in der EU nicht noch besser wird.

Genau dafür wirbt Timon Dzienus, Chef der Grünen Jugend. Grüne könnten nicht Ja sagen, wenn „Kinder in Haft kommen“ und asylberechtigte Syrer in EU-Grenzlagern abgeschoben werden können. Deshalb müsse man die grünen MinisterInnen auf ein Nein im Kabinett verpflichten. Das würde Stress bedeuten, den nächsten Ampelstreit. Nur ungefähr 15 Prozent der Stimmberechtigten heben ihre Delegiertenkarte für den Antrag der Grünen Jugend.

Am Ende herrscht eitel Sonnenschein. Es gibt, trotz 50 Änderungsanträgen im Vorfeld, einen geeinten Leitantrag. Ein Erfolg der geschickten Parteitagsregie. Im Antrag heißt es nun „Der Ratsbeschluss wäre ohne unseren Einsatz, gerade von grünen Regierungsmitgliedern, ein schlechterer gewesen. Doch er enthält auch substanzielle Verschärfungen, die wir aus asylpolitischer Sicht falsch finden.“

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