Kultursenatorin Kisseler über die freie Kulturszene: „Das ist noch optimierbar“

Vor zwei Jahren trat Barbara Kisseler ihr Amt als Hamburger Kultursenatorin mit dem Versprechen an, sich für die freien Kulturschaffenden einzusetzen. Jetzt regt sich Unmut.

Mit 150.000 Euro aus der "Bettensteuer" hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die Werbebranchen-Sause des "Art Directors Club" nach Hamburg gelockt. Bild: dpa

taz: Frau Kisseler, die „Koalition der Freien“, ein Zusammenschluss von Künstlern und Kulturschaffenden, hat Ihre Kulturpolitik kritisiert. Kommt das für Sie überraschend?

Barbara Kisseler: Nein, die kann einen auch nicht überraschen, wenn man die Bedingungen, unter denen freie Künstler arbeiten müssen, etwas besser kennt. Im Verhältnis zu den Institutionen der „Hochkulturszene“ ist da immer Anlass zur Kritik gegeben. Diese Unwucht im Förderverhältnis ist nicht neu. Trotzdem würde ich darauf beharren, dass wir für die freie Szene einiges erreicht haben. Wir haben unter anderem durch die Kultur- und Tourismustaxe zusätzliche Mittel gewinnen können, die erst mal ein Anfang sind. Wir haben im Haushalt auch etwas zugunsten des freien Theaters und der Tanzszene verändert – und auch beim Kinder- und Jugendtheater haben wir einiges getan.

In Ihrer Aufzählung haben Sie die freie Kunstszene ausgelassen. Tun Sie für die nichts?

Das hatte aber keinen tieferen Grund. Bei der bildenden Kunst kann aber durchaus mehr passieren. Weil wir natürlich auch die Künstler hier halten wollen und nicht möchten, dass sie woanders hin abwandern. Für bildende Künstler ist es ganz wichtig, dass sie Arbeitsbedingungen vorfinden, die für sie gerade in einer teuren Stadt wie Hamburg, finanzierbar sind.

Und wie?

Ich glaube, dass wir noch stärker sehen müssen, wie wir eine größere öffentliche Diskussion – oder vielleicht weniger eine Diskussion als eine Wahrnehmung von bildender Kunst hinbekommen. Und zwar nicht nur über unsere großen Häuser wie die Deichtorhallen oder Teile unserer Galerien, sondern wirklich auch über die Künstler selber und ihr Agieren im Stadtraum. Ich glaube, da hat sich einiges bewegt, auch gerade durch die Kreativgesellschaft …

63, parteilos, ist seit 2011 Kultursenatorin in Hamburg. Die Theater- und Filmwissenschaftlerin leitete zehn Jahre lang das Kulturressort im niedersächsischen Wissenschaftsministerium. Ab 2003 Kulturstaatssekretärin in Berlin, ab 2006 Leiterin der Senatskanzlei.

die „städtische Einrichtung zur Förderung der Kreativwirtschaft“.

Aber bei bildenden Künstlern muss es auch, noch viel mehr als bei anderen Genres, ein intensives sich miteinander Austauschen über gemeinsame Interessen geben. Das ist noch optimierbar.

Und dazu ist die Kreativgesellschaft da?

Die Kreativgesellschaft ist für uns so etwas wie Mittler zwischen den Künstlern beziehungsweise der kreativen Szene im weitesten Sinne auf der einen Seite und denen, die etwas anzubieten haben. Also Leute, die Räume anbieten, die aber nicht gerne einen direkten Mietvertrag mit Künstlern machen wollen, weil es ihnen zu unsicher ist. Da tritt die Kreativgesellschaft zum Beispiel als Hauptmieter auf. Und sie erschließt Räume wie die im Oberhafen und bringt sie in die öffentliche Wahrnehmung. Das ist ganz wichtig, ersetzt aber nicht den Dialog, den wir direkt mit einzelnen Künstlern noch intensivieren müssen.

Der Begriff Kreativität, so eine Kritik aus der freien Szene, verwischt die Grenze zwischen Kunst- und Kulturförderung und Wirtschaftsförderung.

Wenn das, was die Kreativgesellschaft macht, eine verkappte Wirtschaftsförderung wäre, die mit der freien Entfaltung von Kunst nichts zu tun hat, würde ich Ihnen Recht geben. Es kann sogar das eine oder andere Projekt geben, wo das so ist. Aber die Kreativgesellschaft ist ausdrücklich bei uns angesiedelt und nicht bei der Wirtschaftsbehörde, aber über den Namen, das Etikett, kann man sich sicher streiten.

Der gesamte Hamburger Haushalt beträgt im laufendem Jahr 11,8 Milliarden Euro. Davon bekommt die Kultur insgesamt mit 251,5 Millionen Euro gerade einmal 2,09 Prozent.

Die drei Sparten der freien Kulturszene bekommen gegenüber den Kulturinstitutionen nur einen Bruchteil. Allein die Staatsoper kostet die Stadt 48,2 Millionen Euro, die Kunsthalle 10,8 Millionen Euro.

Die freie Musikszene wird mit 16,7 Millionen Euro gefördert. Die teilen sich Chöre, Orchester, Pop- und Jazz-Bands, Clubs und Musik-Veranstaltungen.

Theater: Hamburg will sich bis 2020 zur Theatermetropole entwickeln. Das freie Theater und der Tanz bekommen zusammen 1,08 Millionen Euro.

Die Referate für bildende Kunst und Kunst im öffentlichen Raum bekommen zusammen knapp 600.000 Euro. Dazu kommen verschiedene Projekttöpfe.

Die "Bettensteuer" für Hotelgäste soll zusätzlich bis zu zwölf Millionen Euro einspielen. An die freie Szene gehen davon 500.000 Euro, das Geld sollen Projekte bekommen, die "über Hamburg hinaus strahlen". Weitere 100.000 Euro gehen an die freie Tanz- und Theaterszene.

Ist es nicht sinnvoll, die Grenze zwischen Kultur- und Wirtschaftsförderung sichtbar zu machen?

Ich glaube nicht, dass es solche Schubladen geben sollte. Das ist der Kultur auch wesensfremd. Manche künstlerischen Produktionen kommen genau dadurch zustande, dass sie Grenzen überschreiten. Das Ziel, dem die Kreativgesellschaft dient, sollte aber klar sein. Es kann nicht sein, dass wir mit unseren recht wenigen Mitteln Wirtschaftsförderung betreiben. Aber sie kann schon dazu beitragen, dass wir den Künstlern Arbeit abnehmen, die sie nur Mühe kostet und sie von ihrer ursprünglichen Arbeit abhält.

Die 750.000 Euro, die die Stadt in die Kreativgesellschaft steckt, könnte sie doch auch direkt in die Kulturförderung geben. Trauen Sie den Künstlern nicht zu, dass sie sich selbst um ihre Räume kümmern?

Da mache ich ein Fragezeichen dran. Da bringe ich einige Erfahrungen mit und weiß, dass Künstler in der Regel sehr gut wissen, was sie brauchen: welche Räume, ob es einen Wasseranschluss geben muss und wo der Raum liegen soll, nämlich nicht in Horn, sondern am besten irgendwo in der Mitte. Dass man da jemanden hat, der nicht nur ein Einzelobjekt, sondern größere zusammenhängende Flächen auf längere Sicht für kulturelle Zwecke gewinnt – und hierfür den Künstlern diverse Probleme aus dem Weg räumt, das halte ich für einen Vorteil.

Sie wollten mindestens 75 Prozent der Taxe, die die Hamburger Hotelgäste bezahlen, für die Kultur gewinnen. Warum konnten Sie sich nicht durchsetzen?

Wir haben nicht nur eine Kultur-, sondern eine Kultur- und Tourismustaxe eingeführt. Auch weil wir diejenigen, aus deren Bereich das Geld kommen soll, die Hotellerie, mitnehmen wollen. Die Attraktivität der Stadt besteht zwar meines Erachtens im Wesentlichen aus Kultur, aber auch aus anderen Dingen. Ich fand es nicht ehrenrührig, das so aufzusplitten. Wir haben dann aber auch gesagt, dass es mindestens 50 Prozent für die Kultur sein sollen.

Wie viel Einfluss hatte die Kulturbehörde überhaupt auf die Verteilung des Geldes? Es wirkt so, als hätten da auch andere Behörden ordentlich mitgemischt.

Ja, aber klar, das bestreite ich auch gar nicht. Wir haben die Taxe im Senat besprochen, da war auch der Wirtschaftsbereich dabei und auch der Sportbereich. Wie die Gelder für die Kultur verteilt werden, hat die Kulturbehörde selber entschieden.

Allein das Art Directors Festival, ein Event der Werbebranche, bekommt mit 150.000 Euro mehr als alle 20 selbst organisierten Kunstorte in einem Jahr zusammen. Da wundert es wenig, wenn die freie Szene empört ist.

Die Mittel kommen aber nicht aus dem Kulturanteil. Dennoch kann ich das nachvollziehen. Wenn man das in absoluten Zahlen sieht, kann man sich schon fragen, warum kriegen die so viel und ich so wenig. Das ist aber in der Tat eine herausgehobene Veranstaltung und die spricht vielleicht eine andere Klientel an, die steigert auch Hamburgs Attraktivität.

Auf den letzten beiden Documentas und Manifestas waren keine Hamburger Künstler vertreten …

Da bin ich aber nun wirklich unschuldig, weil die Auswahl dazu, die treffe ich nun wirklich nicht.

Aber vielleicht geht die Kunstförderung in eine falsche Richtung.

Das glaube ich nicht. Ich teile Ihre kritische Haltung, wenn Sie sagen, wir müssen neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen noch mehr machen. Da tun wir aber mit Stipendien, Ausstellungsprojekten oder mit genreübergreifenden Projekten, die auch bildende Künstler jetzt beim Elbkulturfonds beantragen könnten, schon einiges. Nun müssen wir noch mehr dafür tun, dass die inhaltliche Arbeit von Künstlern noch stärker wahrgenommen wird. Aber die Kunst muss bei denen entstehen, nicht bei uns.

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