Kommentar Rot-Rot-Grün in Thüringen: Chamäleons und Charakter

In Thüringen lässt die Abgeordnete Rosin mit ihrem Eintritt in die CDU die knappe rot-rot-grüne Koalitionsmehrheit schrumpfen.

Eine Frau, Marion Rosin

Von der SPD zur CDU: Marion Rosin Foto: Imago / Bild13

Politische Chamäleons wecken beim Beobachter immer wieder Nachdenklichkeit über menschliche Abgründe und Wandlungen. Wen kennt man schon wirklich? Ein Horst Mahler beispielsweise marschierte von der RAF bis zum äußersten rechten Rand. In den Parlamenten lösen Deserteure bei den Verlassenen Irritation und Betroffenheit, bei den Beglückten hämisches Grinsen aus.

In Thüringen betont Ministerpräsident Bodo Ramelow nach dem Wechsel der Bildungspolitikerin Marion Rosin von der SPD zur CDU die fest stehende RRG-Koalition, während Unionsabgeordnete deren Ende nahen sehen.

Weniger erfreut sind in der Regel die Wähler. Sie haben zumindest mit ihrer Erststimme Vertrauen in die Haltung eines konkreten Abgeordneten gesetzt. Diese berechtigten Erwartungen kollidieren mit dem Grundsatz der freien Mandatsausübung und der alleinigen Gewissensverpflichtung der Gewählten. Für Meinungswandel und politische Heimatflucht hat Bürger Jedermann wenig Verständnis und erwartet dann eher eine Mandatsniederlegung.

Die thüringische SPD-Landtagsabgeordnete Marion Rosin ist zur oppositionellen CDU gewechselt. Die CDU-Fraktion erklärte am Mittwoch in Erfurt, sie habe Rosin auf eigenen Wunsch bereits in ihren Reihen aufgenommen. Die SPD nannte das Verhalten ihrer Bildungsexpertin "enttäuschend" und "irritierend". Durch den Seitenwechsel der 47-Jährigen schrumpft die Mehrheit der seit Ende 2014 in Thüringen amtierenden rot-rot-grünen Koalition aus Linken, SPD und Grünen auf nur noch eine Stimme. Rosin begründete ihren Schritt in einer auf der Homepage der CDU-Fraktion veröffentlichten Erklärung mit einer "zentralistischen Tendenz" der Regierung, die dem "ländlichen Raum in Thüringen" schade.

In Thüringen droht mit dem Seitenwechsel von Frau Rosin keine akute Gefahr für das erste Dreierbündnis unter linker Führung. Wiederhergestellt worden ist damit nur die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit, mit der die Koalition im Herbst 2014 antrat. Vergessen scheint, dass erst der Übertritt des AfD-Abgeordneten Oskar Helmerich zur SPD zwischenzeitlich diese Mehrheit etwas komfortabler gestaltete. Knappe Mehrheiten bergen nicht nur Risiken, sondern können bekanntlich auch disziplinierend wirken.

Der mit angeblich linker Indoktrination und Fehlern in der Bildungspolitik begründete Wechsel kommt zu einer Zeit, da die Schulpolitik eigentlich im Schatten des Generalthemas Gebietsreform in Thüringen steht. Wegen der langen Krankheit von Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) führt außerdem Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff das Ressort und sorgte für mehr Ruhe. Nun scheint plötzlich ein neues altes Konfliktfeld wieder aufgerissen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.