Journalismuskonferenz in Perugia: Identitätsschutz ist das Wichtigste

Geheime Informationen weitergeben, aber wie? Auf der Journalismuskonferenz in Perugia diskutieren die Whistleblower der letzten Jahre.

Eine Frau mit einer Brille vor einem kleinen Mikrofon

Anika ­Collier Navaroli gab wichtige Informationen aus dem Inneren von Twitter weiter Foto: IMAGO/Jemal Countess

PERUGIA taz | „Die Associated Press schrieb, ich sei ein Mann“, sagt Anika ­Collier Navaroli. Das lag wohl auch daran, dass die Öffentlichkeit monatelang nicht genau wusste, wer sie ist. Bekannt war nur, was Navaroli im Juli 2022 vor ­einem Sonderausschuss des US-Repräsentantenhauses ausgesagt hatte, der die Vorgänge rund um den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 untersuchte.

Damals war sie Teil jenes Teams bei Twitter gewesen, das an der Entwicklung der Moderierungsregeln arbeitete. Ihr Team setzte sich für strengere Regeln ein – vor allem, als sich nach Donald Trumps Niederlage die teils in Codes umschriebenen Gewaltaufrufe häuften. Doch ihre Warnungen wurden von den Twitter-Verantwortlichen ignoriert, sagt Navaroli heute. Auch, weil sie ihre Macht genossen.

Damals blieb Navaroli anonym, mittlerweile ist die Identität der Mittdreißigerin bekannt. Nun sitzt sie auf einer Bühne in einer ehemaligen Kirche im mittelitalienischen Perugia, wo das internationale Journalismusfestival stattfindet.

Es ist die größte europäische Journalismuskonferenz. Der Eintritt ist frei. In dem malerischen Universitätsstädtchen tummeln sich deshalb Tausende Jour­na­lis­t*in­nen aus aller Welt, um den über 200 Podiumsdiskussionen zu lauschen.

Die eigene Identität preisgeben oder nicht?

Navaroli ist aus Kalifornien angereist, neben ihr sitzt Antoine Deltour. Als junger Wirtschaftsprüfer bei Pricewaterhouse Cooper (PwC) in Luxemburg stieß ihm auf, wie internationale Firmen den Zwergstaat nutzten, um Steuern zu hinterziehen und das Beratungsunternehmen PwC ihnen dabei half. Er kopierte die Dokumente, wechselte den Job – und ging als Whistleblower hinter den „Luxleaks“ in die jüngere Geschichte ein.

Auch der irische Manager Marc Macgann ist da. Er war zwei Jahre lang bei Uber als wichtigster Lobbyist für Europa zuständig und half der Mietwagenplattform so bei der Markteinführung. Geheimes Lobbying, Hintergehen von Behörden, Ausnutzen von Fahrer*innen: „Ich habe mitgeholfen, eine Lüge zu verkaufen“, sagt er. Die 124.000 internen Dokumente, die er mitnahm und mit dem britischen Guardian teilte, zeigten das vergangenen Juli der Weltöffentlichkeit.

Was hinter dem Entscheidungsprozesses eines Whistleblowers steckt, die eigenen Identität preiszugeben, das will die Runde diskutieren. „Ich würde Whistleblowern raten, anonym zu bleiben“, sagt der deutsche Investigativjournalist Frederik Obermaier.

So wie jener Mann, der ihm 2015 die Dokumente des Offshore-Dienstleisters ­Mossack Fonseca, die später als Panama Papers bekannt wurden, zuspielte. Die Gefahren sind schließlich hoch: Es drohen teure Gerichtsverfahren und sogar Gefängnisstrafen. Der Job, das soziale Umfeld, die psychische Gesundheit, ja, die körperliche Unversehrtheit, all das stehe auf dem Spiel.

Lieber erst den Job kündigen

Aber ein Geheimnis für sich zu behalten, ist nicht einfach. „Wenn du mit Freunden Bier trinken gehst, ist es schwierig, nicht zu sagen, was man mit sich herumträgt“, erklärt Deltour. Der Luxleaks-Aufdecker arbeitete nicht mehr bei PwC, als die Dokumente veröffentlicht wurden. Das sei so etwas wie „Best Practise“ für Whisteblower, sagt Delphine Halgand-Mishra, Direktorin des ­Signals Network, einer NGO, die Whistleblower unterstützt. „Wir fragen immer, wie das Leben danach ausschauen soll.“

Auch Anika Collier Navaroli ist längst nicht mehr bei Twitter, sondern arbeitet an der Stanford-Universität als Forscherin. Für sie gab es damals einen pragmatischen Grund, vergangenen September über ein Interview mit der Washington Post in die Öffentlichkeit zu treten: Auf den Aufnahmen ihrer Aussage ist zwar ihre Stimme verzerrt, ihre Sprechmelodie aber erkennbar. „Ich klinge sichtlich einzigartig, denn die Menschen in meinem Umfeld wussten sofort, dass ich es war“, sagt Navaroli.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand ihre Identität gegen ihren Willen preisgeben würde. Dem wollte sie zuvorkommen. Auch dass die Medien berichteten, sie sei männlich, ärgerte sie. „Die Vorstellung war wohl, dass jemand, der sich mit Sicherheitspolitik bei einem Tech-Unternehmen beschäftigt, ein heterosexueller, weißer Mann sein muss“, sagt sie. „Aber ich bin eine Schwarze, queere Frau.“ Mit ihrer Aussage rüttelte Navaroli die Öffentlichkeit auf und sie will, dass das alle wissen.

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