Gregor Gysi über Linkspartei: "Den Optimismus nimmt mir keiner"

Der Chef der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Gregor Gysi, über den Ost-West-Konflikt in seiner Partei und die Aussichten eines rot-roten Senats in Berlin.

"Ich bin immer der Richtige", sagt Gregor Gysi. Bild: dpa

taz: Herr Gysi, Kapitalismuskritik ist angesichts der globalen Finanzkrise angesagt. Warum hat die Linkspartei davon eigentlich nichts?

Gregor Gysi: Aus vier Gründen: Die Leute wissen nicht, was wir an der Regierung machen würden, weil wir ja noch nie im Bund regiert haben. Zweitens: Angst. Nach dem 11. September 2001 haben wir in Umfragen sofort verloren - nicht weil die Leute uns verdächtigt haben, sondern weil sie dachten: Die Lage ist sowieso unsicher, jetzt bitte nicht zusätzlich noch ein Experiment.

Das gilt für uns auch in der Euro-Krise. Drittens: Wir haben uns monatelang zu viel mit uns selbst beschäftigt, das hinterlässt beim Wähler den Eindruck: Na, für mich haben die keine Zeit. Und schließlich: Die Medien berichten viel über unseren internen Streit, aber wenig über unsere inhaltlichen Botschaften.

Die Medien sind also schuld …

Ach, das ist doch nur der vierte Punkt.

Ist es nicht vielmehr so, dass die Linkspartei nach 2009 einfach keine Rolle findet? Ihre Partei agitiert immer noch gegen die Sozialdemokratie. Aber die regiert gar nicht mehr.

Das ist zu einfach. Die Bürger wissen doch: Was die SPD in der Opposition fordert und was sie in der Regierung tut, sind zwei verschiedene Sachen. Wir sind mit der SPD in mehreren Punkten uneins. Besonders aber in einem: Wir würden nie einer Bombardierung Libyens zustimmen. Was stimmt, ist: Wir können nicht genug deutlich machen, dass es die Korrekturen in sozialen Fragen bei der SPD ohne uns nie geben würde.

ist seit 2005 Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag.

Die Linkspartei war noch nie so zerstritten.

Ich lasse mir meinen Optimismus nicht nehmen. Die Fraktion hat bei ihrer Klausur in Rostock gezeigt, wie gut sie inhaltlich arbeiten kann. Bei der Wahl in Mecklenburg haben wir gewonnen. Wir sind eben die einzige Partei, die eine Vereinigung von West und Ost auf Augenhöhe versucht. Das ist komplizierter, als ich gedacht hatte.

Fürchten Sie, dass die Linkspartei wieder in Ost und West und Flügel zerfällt?

Wenn Rationalität zählt - nein. Dann weiß Flügel A, dass er ohne B bedeutungslos ist und umgekehrt.

Warum ist der Ost-West-Konflikt so eskaliert?

Auch das ist differenzierter. Die Kontakte an der Basis sind viel besser geworden. Es gibt Genossen aus Nordrhein-Westfalen, die beim Wahlkampf in Mecklenburg geholfen haben. In der Bundestagsfraktion und bei Funktionären ist es schwieriger, das stimmt. Aber ich glaube keine Sekunde, dass wir zerfallen werden.

Sind Sie noch der Richtige an der Fraktionsspitze?

Ich bin immer der Richtige.

Weil Sie unersetzbar sind …

Was soll ich denn dazu sagen: dass ich der Falsche bin? Nein: Ich bin Zentrist. Das bedeutet, mit allen Ärger zu haben, aber auch Chancen zu nutzen.

Denken Sie manchmal ans Aufhören?

Nein, ich bin agil, frisch, aktiv, mache gerne Wahlkämpfe …

Die Frage war durchaus ernst gemeint.

Ich bin mal, als Fraktionsvorsitzender, zu früh gegangen. Üblich ist eher, dass Politiker zu spät gehen. Man muss den richtigen Zeitpunkt finden.

Eigentlich soll auch die Fraktion, wie die Partei, von einer Doppelspitze geführt werden. Bleiben Sie trotzdem alleiniger Fraktionschef?

Das werden wir im Oktober entscheiden. Fragen Sie mich danach noch mal.

Die Parteilinke Sahra Wagenknecht will den Job offenbar haben.

Ich sage dazu nur einen Satz: Wenn, dann müssen wir jemand finden, den die große Mehrheit der Fraktion akzeptiert.

Glauben Sie, dass die Fraktion Wagenknecht akzeptiert?

Ich schätze sie, aber ich äußere mich auf keinen Fall zu einzelnen Personen.

Sie wollen, dass die Fraktion in dem Fundi-Blatt junge welt, das den Mauerbau feierte, keine Anzeigen mehr schaltet. 30 Linke Parlamentarier haben dagegen protestiert …

Wir werden darüber demnächst sprechen und das Problem lösen.

Oskar Lafontaine hat der jungen welt demonstrativ solidarisch ein Interview gegeben …

Und davor Dagmar Enkelmann.

Waren Sie überrascht oder enttäuscht, dass Lafontaine die junge welt per Interview unterstützt?

Weder noch.

Ist es nicht auffällig, dass Ex-Sozialdemokraten in der Linkspartei so wenig Interesse für die Vergangenheitsbearbeitung der PDS aufbringen?

Selbst wenn es so wäre: Es gibt auch viele im Osten, die den Westen nicht verstehen. Die Kultur der PDS und der WASG war eben sehr verschieden. In der PDS wollten viele, die sich nach der Vereinigung ausgegrenzt sahen, gesellschaftliche Anerkennung erringen. Im Westen war das völlig anders: Wer sich links von der SPD organisierte, hat bewusst in Kauf genommen, gesellschaftlich ausgeschlossen zu werden. Das sind ganz andere Kulturen. Diese Differenz kann letztlich nur an der Basis überwunden werden.

Herr Gysi, das stimmt alles. Aber das sagen Sie schon seit vier Jahren.

Ja, und jetzt passiert es. Das braucht eben Zeit.

Finden Sie die Ost-Linken, zum Beispiel in Berlin, zu brav?

Wir haben im ersten rot-roten Senat Fehler gemacht.

Welche?

Den Verkauf der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft GSW. Aber das hat sich nach 2006 geändert. Die Linke hat viel Soziales durchgesetzt, zum Beispiel beitragsfreie Kitas, den Berlin-Pass für Bedürftige, längeres gemeinsames Lernen.

In Berlin regiert Rot-Rot nun seit zehn Jahren. Stadtteile werden seither gentrifiziert, die Mieten steigen und steigen, die S-Bahn fährt manchmal. Was hat die rot-rote Koalition eigentlich geleistet?

Erst mal: Dass Bürger von Landespolitik enttäuscht sind, ist kein Problem der Linkspartei. Es ist einfach schwieriger geworden, auf Landesebene zentrale Entscheidungen zu fällen. Fragen Sie mal den Grünen Winfried Kretschmann.

Was hat Rot-Rot erreicht?

Berlin ist zur Metropole und Hauptstadt geworden.

Das ist ein Verdienst von Rot-Rot?

Ja, glauben Sie, mit dem Provinzialismus von Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky wäre das möglich gewesen? Klaus Wowereit hat einen ganz anderen Stil etabliert, mit der Art, wie er mit seinem Schwulsein umgegangen ist, und seiner medialen Präsenz. Das hat neugierig auf Berlin gemacht. Und: Rot-Rot hat diese Stadt vereinigt. Das hätte die CDU nie geschafft. Die klingt ja sogar heute noch so, als würde die Mauer noch stehen.

Wir sind noch nicht überzeugt, dass Rot-Rot Berlin zur Metropole gemacht hat …

Indirekt schon. Für das Metropolenhafte sorgt die junge Generation, die nach Berlin kommt. Aber wir haben in Berlin eben keine Studiengebühren, dank Rot-Rot.

Dafür explodieren jetzt die Mieten.

Deshalb sagt Harald Wolf: Wenn Die Linke mit der SPD weiterregiert, wird das die Koalitionsfrage. Es muss niedrigere Mieten im öffentlichen Wohnungsbau und neue Wohnungen geben - oder es wird diese Koalition nicht geben.

Das ist die Ankündigung, mal der SPD klare Kante zu zeigen. Warum hat die Linkspartei bisher nie einen Konflikt mit Wowereit riskiert?

Das ist ein Lernprozess. Ich erinnere mich noch, wie nervös und unsicher meine Partei 2001 war, als sie in die Regierung eintrat. Wir sind über die Jahre selbstbewusster gegenüber der SPD geworden. Es gab sehr wohl Konflikte, wenn ich an den Versuch des Finanzsenators denke, der öffentlich geförderten Beschäftigung den Hahn abzudrehen. Da haben wir uns durchgesetzt und 5.000 Menschen weiter eine sinnvolle und vernünftig bezahlte Tätigkeit ermöglicht. Das wird in der dritten rot-roten Regierung noch spürbarer sein als zuvor.

Reichen zehn Jahre Rot-Rot nicht langsam? Müssen es, wie bei Kohl, unbedingt 15 oder 16 Jahre sein?

Ja, weil die anderen es nicht können. Die CDU muss doch erst noch verstehen, dass der Kalte Krieg vorbei ist. Die ist im Osten der Stadt noch immer nicht angekommen. Als ich Wirtschaftssenator in Berlin wurde, hat Edmund Stoiber gesagt: Jetzt geht in Berlin das Licht aus. So weit würde ich bei der CDU nicht gehen. Aber gut für die Stadt ist sie nicht.

Wahrscheinlich wird ja Rot-Grün gewinnen, nicht Rot-Schwarz …

Die Grünen wollen 500 Millionen Euro in der Verwaltung sparen. Das ist Unfug. Berlin hat schon eine extrem verschlankte Verwaltung. Die Grünen haben die Bundesrepublik wirklich verändert. Aber die ökologische Umgestaltung geht nicht ohne das Soziale. Und da sind die Grünen, die ja die bestverdienenden Wähler haben, unterbelichtet. Die Grünen in Berlin sind auch zu elitär.

Herr Gysi, was ist Ihr größter Erfolg?

Dass es gelungen ist, mit der PDS eine Partei zu etablieren, die Leute vertreten hat, die nach 1990 gar keine Lobby mehr hatten. Und dass es gelungen ist, 2007 eine erfolgreiche gesamtdeutsche Linke zu verankern. Das zu einer Zeit, in der die Linke in Europa sonst fast überall zerbröselte.

Was ist Ihr größter Misserfolg?

Haben Sie noch sehr viel Zeit?

Bitte nur der größte.

Dass die Vereinigung bei den westlichen und östlichen Funktionären der Partei noch nicht gelungen ist.

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