Gewerkschaftskundgebungen am 1. Mai: Zwischen Bratwurst und Kampfeslust

In Berlin fordert IG Metall-Chef Hofmann eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. In Köln geißelt DGB-Chefin Fahimi die Tarifflucht von Unternehmen.

Yasmin Fahimi bei ihrer Rede in Köln

Hat genug von Lippenbekenntnissen: DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi am 1. Mai in Köln Foto: Federico Gambarini/dpa

BERLIN/KÖLN taz | Die Stimmung vor dem Roten Rathaus in Berlin-Mitte erinnert am Montagmittag eher an ein Volksfest als an eine politische Kundgebung. Vor den Bratwurst-, Kuchen- und Bierständen haben sich lange Schlangen gebildet, die aufgebauten Bierbänke sind voller Menschen, die die warmen Sonnenstrahlen genießen und ausgelassen miteinander reden. Und doch findet hier kein Rummel statt, sondern die diesjährige Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum Tag der Arbeit.

Rund 6.000 Menschen sind laut Berliner Polizei mit dem Demonstrationszug vom Platz der Vereinten Nationen zum Sitz der neuen Berliner Landesregierung gekommen, wo sie freudig von denen empfangen werden, die sich die Demo gespart haben und direkt zur Kundgebung gekommen sind.

Auf weniger Zuspruch trifft der neue christdemokratischen Regierende Bürgermeister von Berlin: Als Kai Wegner von der Bühne aus begrüßt wird, ertönen laute Buhrufe. Der neue schwarz-rote Senat stößt bei den Ge­werk­schaf­te­r:in­nen offenkundig nicht auf allzu große Begeisterung.

Bei IG Metall-Chef Jörg Hofmann, den der Berliner DGB als Hauptredner eingeladen hat, sieht das anders aus. „Wenn wir sagen, ‚ungebrochen solidarisch‘“, ruft er unter Bezugnahme auf das diesjährige bundesweite 1.-Mai-Motto der DGB-Gewerkschaften, dann bedeute dies, Tag für Tag „gegen jegliche Form von Ausbeutung und Ausgrenzung“ zu handeln. Damit trifft er Ton der Versammelten.

Plädoyer für Viertagewoche

Hofmann gibt sich betont kämpferisch. Es mache „wütend“, wenn erst die Corona-, dann die Energiekrise viele Haushalte an den Rand ihrer Existenz getrieben hätten, „während Konzerne Milliardengewinne ausschütteten und die Zahl der Milliardäre sich in diesem Land mehr als verdoppelte“, empört er sich unter großem Beifall.

Zustimmung erhält Hofmann auch für seine Forderung nach „Arbeitszeiten, die zum Leben passen“. Eine Option dafür sei die von der IG Metall ins Gespräch gebrachte Viertagewoche. Dabei sei er der „festen Überzeugung“, dass ein voller Lohnausgleich bei kürzerer Arbeitszeit für die Unternehmen alleine schon wegen der höheren Produktivität tragbar sei.

Für die Beschäftigten bedeute das, gesünder arbeiten zu können und nicht wie oftmals heute frühzeitig krankheitsbedingt aus dem Job ausscheiden zu müssen. Auf das „Gequatsche“ der Arbeitgeberverbände dagegen habe er „keinen Bock“ mehr, poltert der 67-Jährige, der auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober in den Ruhestand gehen wird.

„Gegenentwurf zur kalten Verwertungslogik“

Knapp 540 Kilometer entfernt steht die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi auf dem Kölner Heumarkt auf der Bühne. Die Gewerkschaften stünden „für einen Gegenentwurf zur kalten Verwertungslogik der reinen Marktwirtschaft“, ruft sie den etwa 15.000 De­mons­tran­t:in­nen entgegen, die nach Veranstalterangaben zur zentralen DGB-Kundgebung in die Domstadt gekommen sind. Nur mit einer starken organisierten Arbeiterbewegung und Tarifverträgen könne der Profitgier etwas entgegengesetzt werden.

„Von allein und aus reiner Einsicht bewegt sich in den Chefetagen doch gar nichts für das Gemeinwohl, für eine gute Arbeitswelt oder gegen den Klimawandel“, sagt die seit knapp einem Jahr amtierende erste Frau an der DGB-Spitze. „Am deutlichsten sehen wir die Notwendigkeit unseres Kampfes derzeit bei den Lohnauseinandersetzungen“, so Fahimi. Denn das beste Mittel gegen steigende Lebenshaltungskosten seien kräftige Lohn- und Gehaltszuwächse.

Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass Tarifverträge mittlerweile in vielen Wirtschaftszweigen und Betrieben den Beschäftigten nicht mehr den notwendigen Schutz bieten könnten. „Ganz einfach deswegen, weil von Jahr zu Jahr sich immer mehr Arbeitgeber der Verantwortung entziehen und auf Tarifflucht gehen“, klagt Fahimi. Von der Bundesregierung verlangt die DGB-Chefin, dass sie sich dem EU-Ziel verpflichtet, die Tarifbindung wieder auf mindestens 80 Prozent anzuheben. „Wir haben die Schnauze voll von Lippenbekenntnissen!“

Wie schon zuvor Jörg Hofmann in Berlin erinnert auch Yasmin Fahimi in ihrer Rede in Köln an das dunkelste Datum der deutschen Gewerkschaftsgeschichte: den 2. Mai 1933. „Vor 90 Jahren haben die Faschisten unsere Gewerkschaftshäuser besetzt“, ruft sie aus. Das dürfe sich niemals wiederholen. „Und auch für die Neufaschisten sage ich: Ihr habt hier nichts in unseren Reihen zu suchen.“

Die menschenverachtenden Spaltungsversuche, mit denen Po­pu­lis­t:in­nen und Rechtsextreme das soziale Klima in der Gesellschaft vergiften und die Menschen gegeneinander treiben wollten, würden „stets unsere ungebrochene Gegenwehr finden“, gibt sich Fahimi entschlossen. Um sich gegen Hass, Hetze und Verleumdung zu stellen, brauche es ein solidarisches Miteinander.

Nach Angaben des DGB nahmen bundesweit insgesamt 287.880 Menschen bundesweit an den diesjährigen gewerkschaftlichen 1.-Mai-Veranstaltungen teil.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.