Filmfestspiele Venedig: Geister und Gesetze

Lidokino 8: Gespensterdämmerung in Venedig. Tilda Swinton brilliert in der Doppelrolle als Mutter und Tochter in einem Film von Joanna Hogg.

Tilda Swinton in einer Doppelrolle als Mutter und Tochter. Hier betrachtet sie ihr Spiegelbild

Kuckuck, ist da wer? Tilda Swinton mit Spiegelbild Foto: A 24

In Venedig sind die Genres im Wettbewerb durchaus vertreten. Mit „­Bones and All“ von Luca Guadagnino gab es einen, wenngleich untypischen, Horrorfilm zu begutachten, und die britische Regisseurin Joanna Hogg hat mit „The Eternal Daughter“ einen Gespensterfilm beigesteuert.

Mit allem, was dazugehört: konstant durch nächtliche Wälder ziehender Nebel, dazu hallende Eulenrufe und ein entlegenes Anwesen, in dem es nachts knarrt.Könnte man albern finden, doch Joanna Hogg, die zuvor in ihren beiden „The Souvenir“-Filmen ihr eigenes Leben als Studentin erzählte, hat anderes im Sinn als schlichten Grusel, selbst wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Ihre Protagonistin hört wie die Hauptfigur in „The Souvenir“ auf den Namen Julie Harte und ist Filmemacherin.

Mit ihrer Mutter verbringt sie ein paar Tage in einem herrschaftlichen Haus auf dem Land, das früher im Besitz der Familie war, inzwischen aber zum Hotel umfunktioniert wurde. Mutter und Tochter spielt Tilda Swinton, die in „The Souvenir“ ebenfalls als Mutter mitspielte. Der bürgerlichen Etikette gehorchend, pflegen beide eine förmlich herzliche Beziehung.

Die Fassung verlieren

Allein Julie verliert hin und wieder die Fassung, wenn die Mutter von traurigen Erinnerungen erzählt, die sie mit dem bis auf zwei Ho­tel­an­ge­stell­te menschenleeren Haus verbindet. Hogg erhält dabei die spukhafte Atmosphäre elegant aufrecht, nutzt die gediegene Kulisse für ein Familiendrama, das in größter Zurückhaltung von schwierigen, zugleich beständigen Familienbanden erzählt.

Eine gescheiterte Familiengeschichte hingegen ist eines der Themen von „Il signore delle formiche“, mit dem der italienische Regisseur Gianni Amelio im Wettbewerb antritt. Im Zentrum steht der Prozess gegen den Schriftsteller und Dramatiker Aldo Braibanti (Luigi Lo Cascio) in den sechziger Jahren. ­Braibanti wurde wegen „plagio“, Unterwerfung, angeklagt, ein Straftatbestand aus der Zeit des Faschismus.

Wie Ennio (Elio Germano), ein Reporter, der beauftragt ist, den Prozess zu beobachten, im Film zu Protokoll gibt, war der Sinn dieses Paragrafen, Schwule vor Gericht stellen zu können, ohne vor der Welt eingestehen zu müssen, dass es auch im machistischen Italien schwule Männer gibt.

Wieder ein Gerichtsfilm

Nach „Argentina, 1985“ von Santiago Mitre, der von den Ermittlungen gegen die Hauptverantwortlichen der Verbrechen in der argentinischen Militärdiktatur handelt, ist „Il signore delle formiche“ der zweite Gerichtsfilm im Wettbewerb. Amelio erzählt zunächst die Vorgeschichte des Prozesses, zeigt Braibante als Intellektuellen, der in den fünfziger Jahren Schauspielunterricht an einer freien Kunstschule in der provinziellen Region Emilia gibt, wo er seinen späteren Freund Ettore kennenlernt.

Die Familie Ettores hält nichts von den künstlerischen Interessen ihres Sohnes und noch weniger von den Interessen des als „Päderast“ beschimpften Braibanti. Nach diversen Konflikten entscheidet sich Ettore, mit seiner Familie zu brechen und dafür mit Aldo nach Rom zu ziehen, wo dieser sich ein weniger feindliches Klima erhofft. Die Eltern intervenieren und lassen ihren Sohn in eine psychiatrische Anstalt einweisen, wo er mit Elektroschocks behandelt wird.

Trotz seiner Tragik erzählt der Film eine Erfolgsgeschichte: Der ominöse Articolo 603 zum Delikt des „plagio“ wird wenige Jahre nach dem Prozess gegen Braibanti aus dem Gesetzbuch gestrichen. Ungeachtet der frohen Botschaft und der starken Besetzung, bei der besonders Elio Germano seinen leise skeptischen Part als Journalist nutzt, um dem Film ein Kraftzentrum zu geben, macht „Il signore delle formiche“ nicht so recht glücklich.

Zu brav ist der Fall als Historiendrama heruntererzählt, zu wenige Einfälle hat sich Amelio gestattet, vielleicht aus Angst, seiner Chronistenpflicht nicht Genüge zu leisten. Er selbst wurde in der Pressekonferenz persönlich ausfällig gegen einen italienischen Journalisten, der kritische Nachfragen zum Film stellte.

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