Erinnerungen an die Kindheit: Marmeladengläser und kleine Krokodile

Woran sich Kinder später erinnern werden, hat man nicht in der Hand. Sie entwickeln eine eigene Perspektive auf ihre Kindheit.

Kind in rosa Regenkleidung rennt durch eine Pfuetze

Rumhüpfen im Regen: Flüchtiger Moment oder prägende Erinnerung? Foto: Frank Sorge/imago

Heute sind die Kinder barfuß und kreischend im Sommerregen durch den Garten ihres Opas gelaufen, bis sie klatschnass waren. Ich habe ihnen eine Weile dabei zugesehen und mich so darüber gefreut, wie sie sich darüber freuen, dass mir ganz warm ums Herz wurde. Ob sie sich an diese Momente mal erinnern werden können? Hoffentlich. Und hoffentlich vergessen sie gleich auch all die Momente, in denen es nicht so schön war. Wenn ich ungeduldig war und ihnen nicht zugehört habe. Wenn ich mich geärgert habe und sie entnervt dazu gedrängt habe, schneller zu machen.

Auf Instagram habe ich mal gelesen, dass Leute diese schönen, leichten Momente, die scheinen, wie aus einem Werbekatalog für Fortpflanzung gerissen, gerne als „Marmeladenglasmomente“ bezeichnen. Ich habe nur leider nie so recht verstanden, wieso. Ich vermute, das soll heißen, dass man die Momente in Marmeladengläsern aufheben soll, um sie später wieder anzusehen.

Aber wer hebt denn irgendwas in Marmeladengläsern auf? Also außer Marmelade, Schrauben oder große Spinnen, die man einfängt, damit sie jemand anders, der sich nicht so ekelt, später wieder freilassen kann. Ich hebe Dinge eher in Ramschschubladen auf. Aber Ramschschubladenmomente klingt eben nicht so lieblich.

Ich verstehe aber, woher der Impuls kommt, diese Momente benennen zu wollen. Sie schwimmen wie kleine Inseln in dieser grün-gelben Suppe aus Familienalltag und man kann sich für eine Weile auf ihnen ausruhen. Sie geben ein wenig Zuversicht, dass man vielleicht doch auch ein paar Dinge richtig macht in dieser ganzen Kindersache. Denn um das Gefühl zu haben, dass man als Eltern alles falsch macht, braucht man nicht mal von Natur aus sehr anfällig für Selbstzweifel sein, man braucht nur zwei Kleinkinder. Im Alter von 2 und 5 können sie in Kombination eine absurde Menge an absurden Forderungen und starken Gefühlen entwickeln, denen kein Mensch ständig gerecht werden kann.

Das Unangenehme vergessen

Und wenn ich ihnen dann so zusehe, wie sie durch den Regen rennen, jauchzend vor Vergnügen, dann vergesse ich, dass sie sich vor einer halben Stunde noch die Köpfe einschlagen wollten wegen eines Balls, den noch Sekunden davor keiner wollte. Ich vergesse, dass die Kinder nach diesem Spektakel noch baden müssen und dass Haarewaschen mit dem Kleinen gerade ist, als würde man versuchen, einem kleinen Krokodil die Zähne zu putzen. Ich vergesse, dass gleich wieder jemand pullern muss oder hungrig ist, obwohl es gerade eben erst Essen gab.

Manchmal frage ich mich, ob die Kinder sich später an eine genervte, müde und ungeduldige Mutter erinnern werden. Oder an eine Mutter, die sie anlächelt, während sie durch den Regen laufen. Ich kann es nicht beeinflussen, denn ich bin definitiv beides und die Kinder werden ihre eigene Perspektive auf ihre Kindheit entwickeln. Sie werden vieles erst später richtig verstehen und ich vermutlich auch.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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