Dokumentarfilm „Hao are You“: Portrait einer zerbrochenen Familie

Dieu Hao Dao aus Stadthagen, hat versucht, seine vietnamesisch-chinesische Familie zu versöhnen. Sein Film „Hao are You“ dokumentiert sein Scheitern.

Ein Hand hält das Negativ eines Familienfotos.

Auf dem Negativ sehen sie friedlich aus: Familienmitglieder von Dieu Hao Do Foto: Drop-out Cinema

Zerstrittene Familien – die gab und gibt es überall und immer schon. Nicht umsonst also zählt der erste Satz aus Tolstois Roman „Anna Karenina“ zu den bekanntesten Zitaten der Literaturgeschichte: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“

Es gibt kaum ein anderes Thema, das so universell und existenziell ist. Denn nur, wenn wir auf unsere Familien blicken, können wir sehen, wer wir selbst sind. Um solch einen Blick geht es in dem Film „Hao Are You“ des Filmemachers Dieu Hao Do, dem Kind von Chinesen, die in den 1970er-Jahren zu den 1,5 Millionen Menschen gehörten, die als Boatpeople aus Vietnam geflohen sind.

Dass er im niedersächsischen Stadthagen geboren wurde, ist so eher zufällig. Denn wo ihre Fluchtwege endeten, konnten seine Eltern während des Kriegs nicht selbst bestimmen. Seine Großfamilie lebt nun über drei Kontinente verstreut: in Hongkong, in den USA und in Deutschland.

Einer seiner Onkel ist auch in Vietnam geblieben. Die sieben Geschwister sind bitter zerstritten. Das hat nichts damit zu tun, dass sie so weit voneinander entfernt leben. Zwei von Haos Tanten wohnen in Los Angeles, aber sie haben seit sieben Jahren nicht mehr miteinander gesprochen.

Für Hao ist es ein Mysterium, warum seine Familie so zerbrochen ist. Und mit seinem Film versucht er, Antworten zu finden. „Hao Are You“ beginnt als ein Reisefilm, bei dem die Kamera ihn bei den Besuchen seiner vielen Onkel und Tanten begleitet.

Immerhin drei der Geschwister finden sich beim Familientreffen in Vietnam ein. Schon bald schreien sie einander an

Dass da immer mit Florian Mag ein Kameramann dabei ist, wird nicht thematisiert, und es gelingt diesem so intime Momente einzufangen, dass man es auch schnell vergisst. Alle schimpfen aufeinander, und es wird viel geweint, aber über eines sind sie sich einig: Schuld an allem ist der Kommunismus. Die chinesische Minderheit in Vietnam war privilegiert: Die Chinesen betrieben die meisten Läden in Südvietnam und deshalb waren sie nach dem Ende des Krieges bei den siegreichen Vietkong auch besonders verhasst.

„Hao Are You“, Regie führte Dieu Hao Do, Deutschland 2023, 90 Minuten

Dieu Hao Dos Tanten und Onkel erzählen davon, wie das Geschäft und das Haus der Familien enteignet wurden, wie einige von ihnen in Gefängnisse und Umerziehungslager gesteckt wurden und wie es ihnen dann gelang, aus dem Land zu fliehen.

Bei diesen zum Teil sehr lebendigen und erschütternden Schilderungen wird deutlich, wie schwer das Trauma dieser Erfahrungen war, und dass diese Menschen nach fast 50 Jahren immer noch darunter leiden.

Dieu Hao Do konzentriert sich in seinem Film auf diese Gespräche mit seinen Familienmitgliedern. Diese subjektive Perspektive verlässt er nur kurz, wenn er etwa zur historischen Einordnung Archivmaterial von der Besetzung Saigons durch die Vietkong zeigt oder erzählt, dass seine Mutter von dem deutschen Frachtschiff „Cap Anamur“ aus dem südchinesischen Meer aufgenommen wurde: Sie war eine von 11.000 auf diese Weise Geretteten, während über 250.000 andere Flüchtlinge damals ertranken.

Es gibt keine einfachen Antworten

Aber eindrucksvoller als diese Zahlen ist es, wenn eine von Haos Tanten als eine Art Lebensbilanz in die Kamera sagt, sie würde sich schämen, denn sie sei „ungebildet“ und die Menschen würden sie nicht mögen.

Auch die anderen Geschwister scheinen kein geglücktes Leben geführt zu haben. Indem er sie alle zu Wort kommen lässt, vermag Hao ein Porträt seiner Familie zu zeichnen, das gerade lebendig und wahrhaftig wirkt: Er zeigt, dass es keine einfachen Antworten und Lösungen gibt.

So unterläuft ihm dann auch einer der wenigen falschen Töne des Films, wenn er im modisch progressiven Jargon seiner Generation von den „toxischen Strukturen“ in seiner Familie spricht. Eine der Qualitäten seiner Dokumentation ist ja gerade, dass er sie nicht aus der Perspektive des Nachgeborenen bewertet, sondern zeigt, wie hilf- und ratlos er angesichts seiner verwundeten Familie bis zum Schluss bleibt.

Denn im letzten Akt seines Films versucht er so etwas wie eine Versöhnung zu initiieren. Dafür organisiert er ein Familientreffen in Vietnam, zu dem immerhin drei Geschwister bei einem Dinner gemeinsam an einem Tisch sitzen. Doch schon bald wird nur noch geschimpft und geschrien.

Dieu Hao Do hat so zwar ein großes Drama als Finale für seinen Film bekommen, aber er wird diesen Abend selbst als den „Tiefpunkt seiner Reise“ bezeichnen, der den Film mit einer melancholischen Note enden lässt. Dieu Hao Do resigniert und zeigt die sieben Geschwister wie gefangen, allein in ihren Wohnungen, während er in den nächtlichen Straßen von Saigon aus seinem eigenen Film hinausgeht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.