Doku über den Chaos Computer Club: Hacker aus dem Weltraum

„All Creatures Are Welcome“: Die Hamburgerin Sandra Trostel hat eine Dokumentation über zwei Großveranstaltungen des Chaos Computer Club gemacht – und dabei Hackerprinzipien angewandt.

Verständnisvoller Blick auf die CCC-Hacker. Foto: Sandra Trostel

Sandra Trostel hat sich geärgert. Alle Geschichten, in denen da­rüber spekuliert wird, wie es weitergeht mit unserer digitalen Welt, sind Dystopien. Und auf solchen pessimistischen Prognosen kann man ihrer Meinung nach nicht aufbauen. Tros­tel möchte stattdessen wissen, wie eine Zukunft überhaupt aussehen könnte. Und sie hat eine Gruppe von Menschen gefunden, die die Welt nicht so hinnehmen, wie sie ist, sondern sie lustvoll umgestalten: die Hacker.

Für die ist das Chaos keine Bedrohung, sondern eine Gelegenheit. Und so treffen sie sich zu Tausenden auf dem „Chaos Communication Congress“ (C3), den alljährlich der Chaos Computer Club (CCC) veranstaltet. Im Jahr 2015 gab es zudem noch ein Sommercamp, auf dem sich 4.500 Hacker unter freiem Himmel in Brandenburg trafen. Sandra Trostel ging mit ihrer Kamera zu beiden Großveranstaltungen, um zu zeigen, wie spielerisch dort an einer menschlicheren Utopie gebastelt wird.

Und um gleich mit einem optimistisch-utopischen Bild zu beginnen, lässt sie in der ersten Einstellung des Films ihre Drohnenkamera um eine kleine Plastikrakete kreisen, die auf dem Vorplatz des Hamburger Kongresszentrums gelandet zu sein scheint – denn auch Hacker aus dem Weltraum wollen am C3 des CCC teilnehmen.

Das Raumschiff ist ein Maskottchen der Veranstaltung, und auch eine Zeitmaschine in einer Telefonzelle, die aus der britschen Fernsehserie „Dr. Who“ geklaut ist, gehört zum Inventar des Kongresses. Sandra Trostel nimmt, was sie kriegen kann, und setzt mit diesen Requisiten gleich zwei erzählerische Klammern: Aliens auf dem Kongress und eine Zeitreise in digitale Vorzeiten, ohne diese dann auch nur halbwegs konsequent fortzuführen. Aber immerhin erinnert sie so daran, dass Science Fiction nicht immer apokalyptisch sein muss.

Premiere: Do, 15. 11., 20 Uhr, Hamburg, Abaton-Kino; weitere Termine unter https://sandratrostel.de/calendar;

Trailer: https://vimeo.com/196339260

Eine dritte Klammer nimmt sie dann doch ernster: Sie tut so, als sei ihr Film Teil eines Computerspiels, das mit seiner rudimentären Animation aussieht, als wäre es in den frühen 1990er-Jahren entworfen worden. Sie und die Zuschauer können verschiedene Levels erreichen, wenn sie jeweils eine Lektion über die Hacker und ihre Weltsicht gelernt haben.

Dieser stilistische Anachronismus ergibt schnell Sinn, wenn Trostel zeigt, wie analog es bei den Hackern zugeht. Da wird viel gelötet, Nachrichten werden durch eine aus Plastikschläuchen gebastelte Rohrpostanlage geschickt und eine kleine Bimmelbahn fährt über das Campgelände. Von einer schönen, neuen digitalen Welt hat all das nur wenig. Stattdessen sieht man Nerds, die ihren Spass auf einem riesigen Abenteuerspielplatz haben.

Zugeschalteter Whistleblower

Statt einer schönen, neuen digitalen Welt sieht man Nerds auf einem Abenteuerspielplatz

Natürlich wurde auf dem Kongress auch ernsthaft diskutiert: Einer der Hacker auf dem Podium erzählt davon, dass ihm mit einer Anklage wegen Landesverrats gedroht worden sei, Edward Snowden ist übers Netz zugeschaltet. Und Trostel lässt eine Reihe von Aktivisten, Organisatoren und Sprechern kluge Sachen erzählen. Ganz nebenbei erfährt man auch, dass das inoffizielle Gründungstreffen des Chaos Computer Clubs im Jahr 1981 in den Redaktionsräumen der taz stattfand. Aber wie schon gesagt, die Zeitreise verliert Trostel bald aus den Augen, und auch an einer Stilisierung der Hacker als Helden ist sie kaum interessiert.

Dafür zeigt sie, was die Engel so machen. Engel werden die Freiwilligen genannt, die beim Kongress für die Organisation hinter den Kulissen sorgen. 500 von ihnen arbeiten ohne Lohn dafür, dass für die 12.000 Besucher alles halbwegs reibungslos funktioniert. Hier sieht man, dass Methode hinter dem Chaos steckt und für Trostel ist das darunter liegende Prinzip (nach dem etwas, das geteilt wird, nicht weniger wird, sondern mehr) ein wichtiger Teil der Utopie, die an diesen paar Tagen von den Hackern gelebt wird.

Alle basteln, spielen, diskutieren und feiern gemeinsam und das Hochgefühl, dass diese Erfahrung bei den Teilnehmern auslöst, kann Trostel authentisch und intensiv vermitteln. Konflikt und damit eine interessante Dramaturgie gibt es in ihrem Film dagegen nicht – deshalb der etwas bemühte und nicht wirklich schlüssige Trick mit dem Computerspiel. Dystopien erzählen sich einfach spannender als Utopien.

Überzeugend ist dagegen, wie konsequent Trostel ihren Film nach den Prinzipien produzierte, die sie in ihm propagiert. So respektiert sie die Privatsphäre der Menschen in ihren Aufnahmen, indem sie konsequent alle Gesichter jener verpixelte, von denen sie keine Drehgenehmigung bekam. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber spätestens, wenn im Computerspiel ein animierter Vogel verpixelt wird, erkennt man das Prinzip.

Per Crowdfunding produziert

Trostel hat ihren Film nicht so produziert und vermarktet, wie dies sonst üblich ist, sondern durch Crowdfunding. Und kein Filmverleih bringt ihn in die Kinos, sondern am Ende des Jahres will Trostel auf dem nächsten Chaos Computer Congress auf einen dicken Knopf drücken – dann wird ihr Film online umsonst zu sehen sein. Außerdem will sie ihr gesamtes Rohmaterial ins Netz stellen, sodass jeder seine eigene Version des Films schneiden kann. Ein halbes Jahr lang wird sie aber, wie sie sagt, mit ihm noch „die alte Welt“ bedienen, also ihn in Kinos zeigen. Er lief schon auf diversen Festivals, offizielle Premiere feiert er nun in Hamburg.

Anschließend macht „All Creatures Welcome“ eine kleine Tour durch die Kinos des Landes. Diese wird örtlich von der Gemeinde von Unterstützern organisiert, die sich über das Crowdfunding gebildet und ein Interesse daran hat, dass der Film in einem Kino in ihrer Nähe gezeigt wird. Dieses System, bei dem die Zuschauer sich selber darum kümmern, dass ein Film in ihre Kinos kommt, ist revolutionär – oder sagen wir utopisch.

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