Die Hackerkultur im Theater: Es war einmal das Chaos

Das Junge Schauspiel Hannover zeigt die Geschichte des Hackers Karl Koch als Tragikomödie – und fängt jenen Moment ein, als Chaos zu harmloser Folklore wurde.

Herrliches Chaos: „23 - Nichts ist so wie es scheint“. Foto: Karl-Bernd Karwasz

BREMEN taz | Die Geschichte der Hackerkultur beginnt nicht am Computer, sondern auf Papier: in den Texten der US-amerikanischen Gegenkultur. Von William S. Burroughs Textarbeit lernten die Hacker den spielerischen Umgang mit starren Systemen, aus den Bewusstseins-Experimenten von Timothy Leary die Einsicht, dass alles auch anders sein könnte. Am nachhaltigsten aber dürfte der Schriftsteller Robert Anton Wilson gewirkt haben. Seine Roman-Trilogie „Illuminatus!“ war auch vielen deutschen Hackern in den 1980er-Jahren Blaupause für den chaotischen Aufstand gegen Autoritäten – und für einen Verschwörungskult, der im Netz bis heute eher unrühmliche Blüten austreibt.

Punktgenau eingefangen hat diesen Ausgangspunkt digitaler Kultur nun ausgerechnet das Theater. Am Jungen Schauspiel Hannover ist die Uraufführung von „23 – Nichts ist so wie es scheint“ zu sehen: Die kurze Lebensgeschichte des Hannoveraner Hackers Karl Koch, der wegen Datenlieferungen an den KGB in der Öffentlichkeit als „Hacker für Moskau“ berühmt wurde – und mehr noch für seine mutmaßliche Selbstverbrennung am 23. Mai 1989.

Das technische Hacken spielt im Stück eine eher untergeordnete Rolle, wichtiger ist Regisseur Christopher Rüping das Warum. Die Frage „Willst du nur zugucken oder dich einmischen?“ zieht sich leitmotivisch durch das Stück.

Die weltpolitische Lage im Kalten Krieg beunruhigt wohl die meisten Jugendlichen auf ihrer WG-Party – der Zuschauer allerdings erfährt vor allem die Perspektive Karl Kochs. Große Teile der Handlung spielen im Inneren eines Containers. Koch-Darsteller Philippe Goos führt mit Camcorder durch das Geschehen, seine Bilder werden auf die Außenwand projiziert.

Davor flimmert eine Anordnung alter Röhrenfernseher, in denen weitere Sprecher zugeschaltet werden: Hacker-Jäger Clifford Stoll, Wilson und die Wegbegleiter des Hackers. Koch hält sie auf Abstand: Er bedient die VHS-Rekorder, schaltet sie zu – und eben auch wieder ab.

Der Gegner: Die Illuminaten

Koch füllt die tatsächlich massiven Informationslücken der Politik des Kalten Krieges mit eigenen Erklärungen – und imaginiert aus dem wüsten Durcheinander konkurrierender Geheimdienste und Militärapparate einen allmächtigen Gegner: die Illuminaten. Und er hat eine Möglichkeit, diesem Feind zu Leibe zu rücken. Noch bevor das heutige World Wide Web entstand, waren Militär und Wirtschaft längst vernetzt. Ohne jedes Know-how in Sachen Sicherheit: Mit einem kleinen Commodore-Computer drangen Hacker aus Hannover selbst in Militärnetze ein.

Koch ist kein Genie. Haltlos manisch rennt er über die Bühne und nervt sein Umfeld mit seinen Theorien, insbesondere über die Zahl 23, die ihm wie die Fußspur der Illuminaten durch Nachrichten und Geschichte scheint. Und er will es erklären: Goos wechselt immer wieder in die Rolle des Moderators, erläutert dem Publikum die Hintergründe des Stücks.

Missverstandener Kult

Der Roman „Illuminatus!“ war nicht nur für Koch der Einstieg in die Verschwörungsfolklore der Gegenkultur. Seit die Geschichte über den Kampf berauschter Untergrundkämpfer gegen die Weltherrscher 1980 bei Rowohlt erschien, überforderte der vermeintliche Science-Fiction-Roman eine deutsche Leserschaft, die nichts wusste von den Debatten, auf die Wilson ironisch reagierte.

Für Wilson, der von Physik eine Menge und von Marx ein bisschen verstand, war die Realität eine Gemengelage widersprüchlicher Modelle. Über die Illuminaten schrieb er nicht, weil er die wahren Weltherrscher zeigen wollte, sondern weil ihn der Modus reizte, das eigene Bewusstsein zu beobachten, wie es sich die Realität zurechtbiegt auf das „Was wäre, wenn ...“.

Diese Offenheit hatte Koch nicht. Goos führt beklemmend vor, wie die Spielerei zum Dogma wird – und der labile Jugendliche zum Irren. Aufputschmittel für nächtelange Computer-Sessions und gelegentliche LSD-Trips taten ihr Übriges. Wilson hat einmal gesagt, er empfehle die psychedelische Dimension niemandem unter 40. Erst dann, sagt er, sei man alt genug, Verantwortung zu übernehmen.

Anarchisten in der Krise

In der Hackerszene geknallt hat es hierzulande, als einige im Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC) anfingen, mit Geheimdiensten zusammen zu arbeiten. Die Koch-Clique aus dem naiven Vorhaben, die datentechnisch hinterher hängende Sowjetunion aufzurüsten, andere danach, um die entstandenen Schäden einzugrenzen und einen Waffenstillstand mit der zunehmend eskalierenden Strafverfolgung auszudealen.

Der CCC-Vorstand wurde paranoid. Man war angetreten, die Welt radikal zu verändern und fand sich verstrickt in den Staat wieder. Der CCC hat die Krise überlebt und aus den Anarchisten ist ein etablierter Politberater geworden, der zwar nicht ganz spaß,- aber doch kritikbefreit durch die Institutionen geistert.

Ohne sich das groß auf die Fahnen zu schreiben, fängt die Theater-Inszenierung eben diesen Punkt ein. Und das liegt vor allem daran, dass die Theater-Fassung – anders als Hans-Christian Schmids dennoch höchst sehenswerter Film – den „Illuminatus!“-Text selbst unerklärt vorgelesen und gespielt zu Wort kommen lässt.

Da ist etwa eine großartig rotznasige Lisa Natalie Arnold, die als sprechender Delfin das Geschehen kommentiert. Zum Höhepunkt wird Koch selbst zu Hagbard Celine, dem Charakter, dessen Namen er auch im Netz trug. In einer bombastische Szene an Bord eines goldenen U-Boots im Kampf gegen den Leviathan kommt schon im Roman die Frage auf, ob man möglicherweise nur Literatur sei … Ganz verstehen kann man das nicht – das wäre auch furchtbar.

Das Chaos kehrt zurück

So chaotisch ist die Geschichte in der Geschichte kein bloßes Gimmick, sondern ein echter Gewinn. Koch hat eben nicht nur irgendein verschrobenes Drogen-Buch gelesen, sondern eins, das tatsächlich zu verunsichern weiß – das vorführt, wie auch die absurdeste Verschwörungstheorie vernünftiger sein kann als die Realität.

Die Begeisterung für den Stoff ist Regisseur Rüping und seiner Besetzung anzumerken. Auch die Nebenfiguren glänzen im U-Boot. Das damalige Chaos als Lebensgefühl bäumt sich noch einmal auf – um in der Katastrophe zu enden.

Nächste Aufführungen: 5., 13. und 20. März, 19.30 Uhr, Staatstheater Hannover, Ballhof Eins

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.