Der Abstieg einer Partei: Unter Piraten

Unsere Autorin wollte zu dieser neuen Mitmachpartei. Auf dem Höhepunkt des Hypes trat sie ein. Und blieb, als er abflachte. Eine Expedition.

Da wollte sie hin. Bild: dpa

Ich habe die „Mitmachpartei“ beim Wort genommen. Im Mai 2012 bin ich in die Piratenpartei eingetreten. Damals galten die Piraten als schrullige, aber innovative Netzavantgarde. Sogar die New York Times schickte ihren Korrespondenten in eine Eckkneipe im Berliner Stadtteil Friedrichshain, um in diesem Piraten-Stammlokal dem Erfolgsgeheimnis der neuen Überfliegerpartei nachzuspüren.

Heute, nach monatelangem Machtkampf im Bundesvorstand und einer unüberschaubaren Zahl bizarrer Schlagzeilen, finden die meisten die Partei peinlich, wenn nicht gar überflüssig. Eigentlich erstaunlich: Im vergangenen Frühjahr waren die Piraten nicht unfähiger oder erfinderischer, verlogener oder liebenswerter als heute. Sie hatten mich neugierig gemacht mit ihrer Kritik an der Intransparenz und Verkrustung des Politikbetriebs - und ihrer Verheißung, die Demokratie endlich ins Internetzeitalter zu überführen.

Ich selbst fand es überfällig, dass Politiker endlich mal ihre Ahnungslosigkeit gestanden. Es kam mir zeitgemäß vor, dass die Partei so postideologisch auftrat. Einige Kommentatoren warfen den Piraten vor, jedes ihrer Ziele könne, kaum proklamiert, von der allmächtigen Basis quasi per Mausklick wieder gekippt werden. Wunderbar! Ich verstand das als Aufforderung zum Mitmachen, als spannendes politisches Experiment.

Hoffnung auf Erfindergeist

Ich hatte gehofft, in der Piratenpartei mehr Erfindergeist zu treffen als bei SPD und CDU zusammen. Ich hatte ihr tatsächlich zugetraut, unsere Demokratie internetfähig zu machen, das Parteileben aus den Kneipen, Sportlerheimen und Kongresszentren heraus ins Netz zu holen und seines unflexiblen Zeittakts zu entheben. Diese neuartige, virtuelle Homeoffice-Demokratie der Piraten schien perfekt für mich als Mutter zweier kleiner Kinder mit wenig freier Zeit. In welcher anderen Partei könnte ich mich daheim am Küchentisch übers Internet ins Parteigeschehen einschalten?

Ich konnte es kaum abwarten, selbst diese Demokratiesoftware Liquid Feedback zu nutzen, über die ich Beeindruckendes gelesen hatte. Am Tag nach meiner offiziellen Registrierung als Mitglied der Piratenpartei erhielt ich eine E-Mail mit dem Zugangsschlüssel. Mein Einstieg in die "Liquid Democracy", die flüssige Demokratie. Rückblickend muss ich gestehen: Nichts enttäuschte mich mehr als diese angeblich so phänomenale Liquid Democracy.

Was heißt eigentlich Mitmachpartei?

Ich habe an kaum einer Liquid-Feedback-Abstimmung teilgenommen, keine Änderungsvorschläge eingebracht. Wie Tausende andere Piraten habe ich die viel bewunderte Technik boykottiert. Es ergab sich einfach so. Wenn die Liquid Democracy auf Bürger wie mich angewiesen ist, kann man sie wohl vergessen. Ja, die Piraten verstehen sich als Mitmachpartei. Aber was genau meinen sie damit?

Spätestens seit meinem zweiten Lokalparteitag konnte ich das Schlagwort kaum noch ernst nehmen. Ich saß in der „Jägerklause“, jener schrammeligen Eckkneipe, in die der Piraten-Hype ein halbes Jahr zuvor sogar einen New-York-Times-Reporter getrieben hatte, musterte die Geweihe und Tierfelle an den dunkelrot getünchten Wänden. Meine Familie war an den Badesee gefahren. Und ich? Wartete. Es war kaum jemand da. Außer mir und zwei Dutzend anderen.

Die Versammlung war nicht beschlussfähig. Konnte das sein? Genau so war es auch zwölf Wochen zuvor beim ersten Bezirksparteitag in einem Kreuzberger Sportlerheim gewesen. Damals hatte ich die geringe Beteiligung noch für eine unerfreuliche Ausnahme gehalten. Daran glaubte ich nun nicht mehr.

Und dann: endlich mitmachen

Die Piraten hatten mich mit großen Versprechen gelockt: Egal ob Bundesvorsitzender oder Neupiratin wie ich - jedes Mitglied könne sich vom ersten Tag an in die Parteiarbeit einbringen. Oder, wie es die Partei-Ikone Marina Weisband in ihrer Zeit als Politische Geschäftsführerin formuliert hatte: Bei den Piraten funktioniere Einflussnahme andersrum. „In dieser Partei schläft man sich nach unten.“ Ja, wirklich? In den Sommerferien nahm ich sie beim Wort. Wenn tatsächlich alle Piraten auf Augenhöhe mitmachen dürften, wieso sollte nicht auch ich als Neuling meine Ideen zum Programm der Piraten für die Bundestagswahl beisteuern?

Meine Idee: eine Elterngeldreform, die mehr Männer motiviert, eine Auszeit für die Familie zu nehmen. Im Garten meiner Eltern setzte ich mich an den Laptop. An einem Mittwochnachmittag am Gartentisch einfach mal ein paar Passagen für ein Bundestagswahlprogramm zu entwerfen - was für ein irres Gefühl. Gut zwei Stunden später mailte ich, ohne lange nachzudenken, aus dem Garten heraus meinen Programmantrag „Echte Wahlfreiheit für Familien“ herum und bat andere Piraten um ihr Feedback. Das bekam ich - sogar mehr als erhofft.

Gab es sie also doch, diese „Schwarmintelligenz“, von der die Partei angeblich so viel profitierte? Lena und Andreas, eine Philosophie-Studentin und ein Mathematiker, boten mir an, mit mir die Initiative fürs Wahlprogramm durchzugehen. Im schummrigen Licht der Laternen saßen wir vor einem Kreuzberger Eckcafé an unseren Laptops und arbeiteten - dank Wlan und „Piratenpad“ alle gleichzeitig an dem Antrag. Die Atmosphäre war respektvoll und konstruktiv, der Ton locker und herzlich. Lena und Andreas widersprachen so ziemlich allen Piraten-Klischees.

Es ging auf Mitternacht zu, im „Pad“ stand jetzt ein neues Elterngeldmodell. Auf jeden Fall war dies der produktivste Abend seit meinem Parteieintritt. Mit diesem Entwurf könnten wir auch die Abstimmung im Liquid Feedback gewinnen. Da war ich mir sicher. Es kam anders. Anfang Oktober wurde unser Elterngeldmodell in Liquid Feedback knapp überstimmt. Ich hatte mir geschworen: Sollten die Piraten dieses Papier besser finden als unseres, dann hätten wir ein Problem! Und nun?

Was unsere Autorin noch bei der Internetpartei erlebte, lesen Sie in der Ganzen Geschichte „Unter Piraten“ in der sonntaz vom 23./24. März 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

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