Christopher Nolans Film „Oppenheimer“: Waffe für den Frieden

Im epischen Blockbuster „Oppenheimer“ hadert der berühmte Physiker mit den Konsequenzen seiner Erfindung. Der Film suhlt sich in Geniekult.

Das Standphoto zeigt Oppenheimer in anzug und Krawatte, irritiert blickend. Schräg hinter ihm seine Frau auf einer Couch

Eheleute in der Anhörung: Kitty (Emily Blunt) und J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) Foto: Universal Pictures

Wenn J. Robert ­Oppenheimers Gedanken in Christopher Nolans neuestem Film schweifen, sieht er einen Himmel mit pfeilartigen Wolken und Wellen, die sich durchs Bild spannen.

Die Wolken werden sich als düstere Vision des Zeitalters nuklearer Interkontinentalraketen erweisen, die Wellen visualisieren Oppenheimers Arbeit zur Quantenmechanik. „Oppenheimer“ zeigt den Werdegang J. Robert Oppenheimers, der die Forschungseinrichtung in Los Alamos leitete, in der Wissenschaftler in den USA während des Zweiten Weltkriegs die Atombombe entwickelten.

Nolans Film folgt seinem Protagonisten von der physikalischen Grundlagenforschung in den 1930er Jahren über die Entwicklung der Atombombe bis in die Nachkriegszeit.

Oppenheimers Anhörung im Jahr 1954 vor dem Security Board der US-Atomenergiebehörde, das darüber befand, ob Oppenheimer auch unter den veränderten Vorzeichen des Kalten Krieges weiterhin Zugang zu geheimen Informationen haben sollte, ist seit Heinar Kipphardts „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ auch in Deutschland halbwegs bekannt.

„Oppenheimer“. Regie: Christopher Nolan. Mit Cillian Murphy, Emily Blunt u. a. USA/Vereinigtes Königreich 2023, 180 Min.

Oppenheimers Werdegang

In Nolans Film dient die Anhörung zu Beginn als Sprungbrett, um Oppenheimers Leben in den Jahren vor dem Atombombenprogramm zu skizzieren: Studienjahre in Europa, Rückkehr in die USA, Lehre in Berkeley. Nolan spielt recht bieder Pingpong: Aussage, Spielszene, Aussage, Spielszene. Inmitten des Edelreenactments bedient Nolan an Oppenheimers Werdegang etwas treudoof die Momente, in denen sich seine Wege mit Wissenschaftlern wie Niels Bohr oder Werner Heisenberg kreuzen.

Während seiner Zeit an der University of California in Berkeley lernt Oppenheimer seine Langzeitgeliebte Jean Tatlock (Florence Pugh) und seine spätere Frau Kitty (Emily Blunt) ebenso kennen wie eine ganze Reihe späterer Mitarbeiter am Manhattan Project.

Er engagiert sich für die gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeiter, besucht Veranstaltungen im Umfeld der kommunistischen Partei der USA und spendet für Menschen, die nach der Machtübertragung an Hitler aus Deutschland fliehen, und für die republikanische Seite im Spanischen Bürgerkrieg. Er wird über seinen Labornachbarn, den späteren Nobelpreisträger Ernest Lawrence, Teil des Atombombenprojekts.

Die Rechnung ohne den Kalten Krieg gemacht

Oppenheimer baut die Atombombe im Glauben an ein Wettrennen mit den Nazis und in der Hoffnung darauf, dass die Einsicht in ihr Vernichtungspotenzial ein Zeitalter des Friedens bedeuten wird, hat die Rechnung aber ohne den Kalten Krieg gemacht.

Cillian Murphy, der schon bei „Inception“ (2010) und „Dunkirk“ (2017) mit Nolan zusammenarbeitete, konnte anscheinend nur mit dem Oppenheimer der Berkeley-Zeit etwas anfangen. Den Rest des Films spielt er den Protagonisten so zurückgenommen, dass er blass bleibt.

Im gegenwärtigen US-Kino gibt es wenige Regisseure, bei denen das Faible für das Verfertigen filmischer Strukturen aus Zeitebenen und Erzählsträngen so ausgeprägt ist wie bei Christopher Nolan. Doch „Oppenheimer“ ist für Nolans Verhältnisse geradezu konservativ erzählt. Jede der drei Stunden des Films erhält einen Abschnitt: eine Stunde Vorgeschichte, eine Stunde Atombombenforschung und knapp eine Stunde Nachkriegszeit.

Vom Ende her erzählt

Das Grundgerüst des Films besteht aus zwei Strängen, einer farbig, einer schwarz-weiß, der eine linear von vorne erzählt, der andere vom Ende her. Zunächst scheint es, als würde Oppenheimers jeweilige Gegenwart in Farbe gezeigt und die Vorgriffe in die Zeit nach dem Krieg in Schwarz-Weiß. Doch das immerhin ist dann letztlich doch etwas anders.

Für „Oppenheimer“ hat der Regisseur einen beeindruckenden Cast zusammengestellt, um das umfangreiche Figurentableau zu verkörpern. Entsprechend legt er den Schwerpunkt auf die Konflikte zwischen den Personen. Der Fortgang der Arbeit an der Bombe wird durch ein Goldfischglas mit Glasperlen dargestellt, die die Menge verfügbaren radioaktiven Materials darstellen. Als das Glas voll ist, ist die Bombe fertig.

„Oppenheimer“ schildert die Geschichte des Films als die letzten Momente vor dem Eintritt in jenes Zeitalter atomarer Bewaffnung, das bis heute andauert. Als die Belegschaft von Los Alamos nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 feiert und Oppenheimer als Direktor der Forschungseinrichtung eine Rede hält, überkommen ihn Schreckensvisionen.

Nolans Film basiert auf der Biografie „American Prometheus: The Trial and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“, die der Historiker Martin J. Sherwin und der Publizist Kai Bird nach mehr als 20 Jahren Arbeit 2005 publizierten. Die Geschichte Oppenheimers als linker, jüdischer Physiker, der die Wissenschaftler in Los Alamos im Glauben an ein Wettrennen mit den Nazis lange genug zusammenhält, um schließlich die Atombombe fertigzustellen und dann mit den Folgen zu hadern, fasziniert bis heute.

Christopher Nolan, einer der komplexitätsfreudigsten Regisseure des Gegenwartskinos, hat diese Faszination leider nur in einen etwas biederen, soliden, sehr epischen und sehr vom Geniekult geprägten Film übersetzt.

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