Bremen vor der Bürgerschaftswahl: Linke Gerade, rechter Haken

Im Bremer Wahlkampf zerlegt sich die AfD derzeit selbst. Die Linke sucht derweil den Anschluss an die Mitte-Parteien.

Die Spitzenkandidatin der Linkspartei, Kristina Vogt, spricht auf dem Marktplatz vor der Bürgerschaft in Bremen, April 2019

Will Senatorin werden: Kristina Vogt, Spitzendekandidatin der Linken Foto: imago images/Stefan Schmidbauer

BREMEN taz | Einkaufstag – Wahlkampftag: Grelle Sonne, 20 Grad plus um kurz nach neun, diesen Sonnabend hat sich der Frühling mal durchgesetzt. Vor der Shopping Mall in der Neuen Vahr – Bremer Stadtteil, bekannt aus Film und Buch – haben Die Linke und CDU schon Stände aufgebaut, dicht an dicht: Das ist immer so, wenn in Bremen gewählt wird.

Früher hat man einander dann oft gepiesackt, versucht, sich die Laufkundschaft abspenstig zu machen, und „gelegentlich passiert das noch immer“, sagt Friederike Emole, Erzieherin und Kandidatin für Die Linke, auf dem aussichtsarmen Listenplatz 15.

Aber heute sieht das mehr nach friedlicher Wahlkoexistenz aus, als nach Wahlkampf. Man hat andere Zielgruppen, man kennt sich aus gemeinsamer Arbeit im Stadtteilbeirat, man grüßt sich. Und, bei aller Konkurrenz, „wenn die AfD kommt, da stehen wir zusammen“, sagt Emole mit Blick auf die CDU-Kollegen.

Das ist nötig. Denn das politische Klima ist rau geworden: Einem linken Kommunalpolitiker, der für den 25. Mai eine Demo gegen Rechts angemeldet hat, ist per Mail angekündigt worden, man werde ihn „aufschlitzen“. Als „dreckige Zecke“ wird er beschimpft: „der 25.5. wird dein todestag!“.

Alle gegen die AfD

Auf Einschüchterungen und Provokation setzt auch die Bremer AfD im Wahlkampf. Manche der Konflikte schlagen sich dann in Polizeimeldungen nieder: „Mehrere Parteien waren am Samstag im Rahmen des Wahlkampfes an Infoständen in Bremen Osterholz präsent“, heißt es darin beispielsweise. „Hierbei bildete sich eine spontane Protestaktion gegen eine der anwesenden Parteien“.

In Tenever war das, noch ein Stückchen weiter raus im Bremer Osten, am zweiten Mai-Samstag. Emole war auch dabei. Rund 67 Prozent der Menschen, die dort wohnen, haben einen Migrationshintergrund. Werbung für Rassismus kommt da, wenig überraschend, nicht bei allen gut an. Die Polizei registriert Wortgefechte.

Emole hat die Lage etwas brisanter erlebt: „Da war einer dabei am AfD-Stand, der hielt immer eine Zielscheibe hoch, auf der Die Linke stand“, erinnert sie sich. „Da hab' ich mich schon gefragt, soll das jetzt eine Drohung sein?“, hat die Sache dann aber auf sich beruhen lassen.

Nur den Mann, der sich am AfD-Infotisch mit Propagandamaterial eingedeckt und mit Hitlergruß verabschiedet hat, den hat sie den Beamten dann doch gemeldet. „Auch in diesem Fall wurde eine entsprechende Strafanzeige gefertigt“, heißt es in der Polizeimeldung.

Nichtwähler als Goldgrube

Dass Linke und AfD im Wahlkampf hart aufeinanderprallen ist kein Zufall – und der Stadtteil auch nicht. Denn beide können sich Hoffnung machen auf Stimmen von denen, die zuletzt keine mehr abgegeben hatten: Alle Analysen seit 2017 zeigen, dass die AfD massenhaft Zuspruch von bisherigen NichtwählerInnen einsackt.

Von denen gibt es viele in Bremen – und besonders in den sozial benachteiligten Stadtteilen. In Osterholz-Tenever lag die Beteiligung 2015 bei gerade mal 31,8 Prozent.

„Ich sehe es als unseren Auftrag als Linke, solche Stadtteile nicht allein zu lassen“, sagt Kristina Vogt, Fraktionsvorsitzende und zum dritten Mal Spitzenkandidatin der Linken. Gleich 2015 hatte die Partei in Tenever deshalb ein Büro eröffnet, das der dort lebende Bürgerschaftsabgeordnete Cindi Tuncel betreut, der sich seit Ende März im Häuserwahlkampf befindet.

Ein anderes Büro gibt's in Gröpelingen, Armutshochburg im Bremer Westen, Wahlbeteiligung 36,8 Prozent. Hier tritt Vogt selbst als die Frau auf, die sich kümmert, hört den Anliegen zu, trägt sie ins Parlament, und manchmal dringt sie damit auch durch: Dass die Aufgabe, in einem Stadtteil mit prekärer Soziallage eine Schule zu leiten, besonders aufwändig ist und die RektorInnen dafür anderweitig entlastet werden sollten zum Beispiel, dafür hat sie schon lange gekämpft. „Jetzt endlich hat der Senat das aufgegriffen“, sagt sie.

Sie redet auch mit denen, die Deutschlandfahnen hissen

Manchmal klingt Vogt, obwohl sie doch in Wahrheit mehr von Punk und Arbeiterautonomie her kommt, wie eine waschechte Sozialdemokratin, aber eine von früher, von damals, als die SPD noch wusste, was Sozialdemokratie heißt.

Die Wahl: Am 26. Mai stimmen rund 482.000 Wahlberechtigte über eine neue Bürgerschaft im Stadtstaat Bremen ab. Neben der Hansestadt gehört auch Bremerhaven zu Deutschlands kleinstem Bundesland. Die SPD, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs alle Bürgermeister gestellt hat, könnte erstmals verlieren und hinter der CDU landen.

Die Umfragen: Die CDU liegt mit 27 Prozent knapp vorne, die SPD rutscht seit den letzten Wahlen um fast 9 Prozent ab auf 24 Prozent. Die Grünen liegen bei 18 Prozent, die FDP bei 5 Prozent. Die Linke steht bei 12 Prozent und die AfD sackt auf 6 Prozent ab, deren Abspaltung, die Bürger in Wut (BIW), liegen bei 3 Prozent. (Quelle: Infratest dimap vom 16. Mai)

Mindestens verfügt sie über deren integrative Kraft: Sie kann mit Menschen reden, die unter dem Druck leiden, der im Niedriglohnsektor mithilfe von ausländischen Beschäftigten aufgebaut wird, und die deshalb auf Parzellen wild entschlossen die Deutschlandflagge hissen – und manchmal schafft sie es sogar, dass sich Ressentiments verflüchtigen.

Sie kommt aber auch, was den Grünen manchmal Sorge macht, im vermeintlich postmateriellen Milieu gut an.

Als Vogt, Rechtsanwaltsfachgehilfin und Kneipenwirtin 2008 in die Linkspartei eintrat, war die ein Bündel von Streithähnen, und die Fraktion, die erste in einem westdeutschen Landtag, komplett handlungsunfähig.

Linkes Selbstbewusstsein

Mittlerweile ist sie ein vor allem von Frauen geprägtes Team, und selbst der Parteivorstand, dem ein gewisser Hang zu Radikalopposition nachgesagt wird, hat sich schon zwei Wochen vor der Wahl dafür ausgesprochen, mit SPD und Grünen Bündnismöglichkeiten zu sondieren, sobald ein Ergebnis da ist.

Denn ja, Vogt will Senatorin werden. Das Ressort? Bildung, vielleicht, Wirtschaft, ginge auch, aber warum nicht Finanzen? Vogt würde das packen, daran hat im politischen Bremen niemand echte Zweifel, eingeschlossen sie selbst.

Als die Partei neu war, sei ihre Aufgabe gewesen, Dinge zu fordern, hatte sie schon zum Wahlkampfauftakt gesagt. Darüber sei man aber hinaus. „Wir sind in Bremen an einem Punkt, wo wir nicht mehr sagen: Wir fordern irgendwas, sondern wir können etwas“, und zwar „nicht irgendetwas, sondern die Stadt anders gestalten“.

Den diametralen Gegensatz dazu bildet die AfD, die laut Umfragen auf sechs bis acht Prozent hoffen darf – warum auch immer: Konstruktive Politikangebote hat sie keine im Portfolio. Und statt auf Bürgernähe setzt sie auf martialisches Auftreten, allen voran der Landesvorsitzende Frank Magnitz.

Saalschützer, Phänotyp: Stiefelnazis

Ohnehin wird der von drei Bodyguards des BKA zu Podiumsdiskussionen in Schulen begleitet, darauf hat er Anspruch, seit er im Januar überfallen und verletzt worden war. Mitunter hat der Bauunternehmer aber auch noch zusätzlich treu ergebene Saalschützer aus dem eigenen Lager an seiner Seite, Phänotyp Stiefelnazis, aber das kann täuschen.

Um in größerem Umfang Plakate zu kleben und auf Klingeltour zu gehen, fehlen offenbar das nötige Kleingeld und die motivierten Parteigänger: Man hat nach Eigenangaben 165 Mitglieder – andere Quellen sprechen von 120 –, aber genug für unzählige interne Streitereien.

So befindet sich der einzige aktuelle Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Tassis im Dauer-Clinch mit dem Landesverband. Gegen Magnitz selbst wird, auf die Anzeige eines früheren Landesschatzmeisters, wegen des Verdachts auf Untreue ermittelt. Und am Landgericht laufen massenhaft zivilrechtliche Verfahren, darunter mindestens 17 Klagen gegen Parteiausschlüsse, höchstens 29, aber Vorsicht! Auch um die Zahl wird prozessiert.

Die Klagen stammen großteils von AfDlern, denen der Rechtsruck und die Alleinherrscher-Ansprüche von Magnitz nicht passten. Der steht dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ um Björn Höcke nahe. Seine Nähe zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“ ist notorisch, seine Ämterhäufung bemerkenswert: Der Partei-Chef sitzt für Bremerhaven als Abgeordneter im Bundestag.

Bürger in Wut: Abspaltung der AfD

Nun will er auch in die Bürgerschaft, aber nicht ohne seine Tochter. Die 26jährige Studentin ohne weitere Berufserfahrung jobbt derzeit als Pressesprecherin der Partei und kandidiert, klarer Verstoß gegen die AfD-Bundessatzung, auf Listenplatz 5. Die Bürgerschaftsmandate in Bremen sind mit 4.987 Euro brutto plus 795 Euro Zuschuss zur Altersvorsorge für ein Halbtags-Parlament recht üppig dotiert.

Auch gegen den ehemaligen Radio-Bremen- und „Stern TV“-Reporter Hinrich Lührssen zog Magnitz vor Gericht. Lührssen hätte eigentlich AfD-Spitzenkandidat werden wollen, unterlag dann dem Gegenkandidaten Magnitz – und war erbost zu den „Bürgern in Wut“ (BIW) gewechselt, einer kaum minder rechten Wählervereinigung.

Das tat er nicht lautlos: Im AfD-Landesverband hätten „Anti-Demokraten“ das Sagen, „die sich mit üblen Tricks an der Macht halten“, sagte er. Die AfD wollte Lührssen das gerichtlich verbieten lassen – erfolglos.

Mit mehr Fortune kämpft sie um mediale Wahrnehmung, indem sie ihre Opfererzählungen ausbaut: Schon die Attacke im Januar hatte Magnitz in seiner Schilderung stark übertrieben. Zugleich nutzte die Partei den Vorfall in Pressemitteilungen, um „eine mediale Betroffenheit zu erzeugen“ wie Magnitz in einer internen Mail kurz nach seinem Klinikaufenthalt schrieb.

AfD strickt weiter an ihrem Opfermythos

Daran hat man, so scheint es, anknüpfen wollen, als man sich über angebliche Morddrohungen gegen den Betreiber eines Festsaals beklagte. In dem Saal wollte die AfD ihren Kampagnenabschluss ausrichten, mit Alexander Gauland und Europakandidat Jörg Meuthen als Stars.

Das habe man also absagen müssen, teilte die AfD der Presse mit, die das bereitwillig verbreitete, Bezichtigung vermeintlich linker Täter inklusive.

Die Staatsanwaltschaft indes bestätigt nur, dass der Saalbetreiber zwei anonyme Anrufe erhalten hat. Drohungen? Naja: „Da jetzt eine Morddrohung reinzuinterpretieren, halte ich für gewagt“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft zur taz.

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