Die Wahrheit: Leben in 800 Jahren

Die bislang recht unbekannte Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung verspricht im Wahlkampf übermenschliche Anstrengungen für die Zukunft.

Schwitzend joggte ich durch die Straßen Frankfurts und dachte darüber nach, wie hinterlistig der Lauf des Lebens doch ist, dass man zwar seine ganze Jugend vollumfänglich dem Motto „No Future!“ widmen kann, mit Mitte 30 dann aber doch in Ultra-Cushion-Laufschuhen seine Runden dreht, des notwendigen körperlichen Future Proofings wegen.

Gerade als das Knie mal wieder unbeeindruckt von all diesen Bemühungen zu schmerzen begann, sah ich an einer Straßenlaterne ein Wahlplakat hängen: „Wo willst du in 800 Jahren leben?“ Das wollte die mir bis dato unbekannte Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung von mir wissen.

In meinem Kopf begann es zu rattern wie in meinen Gelenken. Ein ganz schön langer Name für eine Partei, dachte ich. Andererseits: Wer rund 800 Jahre lebt, der benötigt auch keine Abkürzungen mehr. Da war es bereits geschehen, ich war neugierig wie ein junger 100-Jähriger. Ich drosselte mein Tempo, um im Grüneburgpark auf einer Bank zu ruhen und vollends in den Recherchemodus zu switchen.

Verjüngungsforschung, das Alter überwinden – warum hörte ich heute zum ersten Mal davon? Wo würde ich in 800 Jahren leben wollen? Schwer zu sagen, die Welt ist groß und aufregend. Andererseits: In 800 Jahren rückt auch die Möglichkeit, eine Immobilie in Frankfurt abzubezahlen, durchaus in greifbare Nähe. Sollte ich noch einmal neu anfangen? Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit meinem Leben, nach 100 Jahren würde aber auch das bestimmt langweilig werden. Zeit, alte Träume wahr zu machen? Als Kind wollte ich Detektiv werden, aber braucht man im Zeitalter vollumfänglicher Überwachung überhaupt noch Detektive wie Kalle Blomquist? Werden wir nicht ohnehin nur noch prekäre Zuarbeiter für die allmächtige KI sein? Und wie sieht eigentlich das Rentenprogramm einer Partei aus, die die Unsterblichkeit zum Ziel hat?

Auf der Homepage der Partei dann die Enttäuschung: Keine dieser Fragen wurde geklärt, und auch ein erster Blick auf die Kandidaten stimmte mich nüchtern. Niemand von ihnen schien bisher auch nur annähernd die 100 Lenze geknackt zu haben. Ich war also doch auf das übliche Politikerding reingefallen: Viel versprechen, nichts davon einlösen.

In einem für ein Erklärvideo noch deutlich viel zu komplizierten Clip erfuhr ich, dass die Partei vor allem auf das Konzept „Fluchtgeschwindigkeit“ setzt. Heißt: Je länger man lebt, desto mehr Zeit bleibt der Forschung, an diversen lebensverlängernden Maßnahmen zu forschen. Also eine einzige Wette auf die Zukunft.

Na vielen Dank. Mein schmerzendes Knie sendete mir Signale, die ich nicht gebraucht hätte, um misstrauisch angesichts solcher Methoden zu sein. Also machte ich mich auf und lief weiter, wütend auf mich, mal wieder so viel meiner wertvollen Zeit verschwendet zu haben. Jünger werde ich schließlich auch nicht, ihr Scharlatane von der PFSV!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.