Bote liegen in einem Kanal, die Häuser am Ufer sind durch eine Mauer geschützt, im Hintergrund sind zwei Hochhäuser zu sehen

Da hilft keine Mauer: Jakarta wird überschwemmt Foto: Nick Reimer

Jakarta versinkt im Meer:Eine Stadt geht unter

In Indonesiens Hauptstadt versucht man mit Beton den steigenden Meeresspiegel zurückzuhalten – und beschleunigt damit den eigenen Untergang noch.

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21.4.2024, 11:51  Uhr

Wenn Miati Kaffee kocht, geschieht das unterhalb des Meeresspiegels. „Ein Meter, vielleicht anderthalb: Die Küche liegt ja im Erdgeschoss“, sagt die 55-Jährige und lacht. Seit dem Bau der Mauer, die den Ozean zurückhalten soll, quasi direkt vor ihrer Haustür zerbricht sie sich darüber aber nicht mehr den Kopf. Mit Süßwasser Kaffee unter dem salzigen Ozeanpegel zu kochen, „für mich ist das Alltag“, sagt die Hausfrau.

Miati wohnt in Kampung Luar Batang, einem dicht gedrängten Stadtviertel der indonesischen Hauptstadt Jakarta, das direkt am Meer liegt. Schmale zweistöckige, manchmal dreistöckige, aber selten höhere Häuser säumen in Luar Batang enge Gassen, durch die nur Motorräder, aber keine Autos passen. Vom Ozean bis zu Miatis Hauswand sind es nur zwei Armlängen, aber zwischen Wasser und Haus steht ja noch die drei Meter hohe, vielleicht 40 Zentimeter breite Betonmauer, die dafür sorgt, dass Miati hier immer noch Kaffee kochen kann. Seit mehr als 30 Jahren lebt sie nun schon hier, „das Meer ist immer höher gestiegen, ohne die Mauer wäre Leben hier unmöglich“.

Wäre absehbar gewesen, dass sich Jakarta einmal zu einer der Megacitys dieses Planten entwickeln würde, hätte wohl niemand ausgerechnet diesen Siedlungsplatz gewählt: Die Stadt liegt auf Schwemmland. Ein Dutzend Flüsse münden in der Bucht von Jakarta im Meer, ihre Deltas schütteten jahrtausendelang hier dieses Schwemmland auf. Als die holländischen Kolonialherren Anfang des 17. Jahrhunderts einen Hafen brauchten, fiel ihre Wahl auf den Fluss Ciliwung. Und weil Holländer Grachten lieben, legten sie auch hier solche an, was zwar den Transport der Waren aus dem Landesinneren erleichterte, aber das Schwemmland zerschnitt und zu seiner ersten Destabilisierung führte: Seit dem Bau der Grachten verlandeten diese Kanäle immer wieder, weil Sedimente nachflossen – und das Schwemmland so zu rutschen begann.

Trotzdem folgten Handel, Ausbeutung, der Zuzug von Wohlstand suchenden Menschen und im 20. Jahrhundert jene dynamische Entwicklung, die Jakarta mit heute mehr als 10 Millionen Menschen – im Großraum leben 30 Millionen – zum Mittelpunkt Indonesiens machten. Einem Mittelpunkt auf Abruf: Einerseits sinkt Jakarta so stark wie keine andere Stadt der Welt. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge gibt Jakartas Untergrund aktuell um durchschnittlich drei Zentimeter pro Jahr nach, 40 Prozent der Stadt liegen bereits unter dem Ozeanpegel. An manchen Stellen im Norden der Stadt sinkt der Boden sogar um 25 Zentimeter jedes Jahr ab. Andererseits steigt der Meeresspiegel wegen der Klimaerhitzung unaufhaltbar weiter an.

Wegen des Ausbruchs des Vulkans Ruang im Nordosten Indonesiens wurden laut Behördenangaben rund 11.000 Menschen in Sicherheit gebracht. Sie warnten zugleich vor der Gefahr eines Tsunami. Wegen der Vulkanasche wurde der mehr als 100 Kilometer entfernte internationale Flughafen in Manado vorerst geschlossen.

Über dem Vulkan Ruang in der Provinz Nord-Sulawesi stieg am Donnerstag eine bis zu 800 Meter hohe Rauchsäule auf. Seit Dienstag ist der Vulkan fünf Mal ausgebrochen. Weil er in der Nacht zu Donnerstag auch Lava spie, riefen die Behörden die höchste Alarmstufe vier aus. Indonesien liegt auf dem Pazifischen Feuerring, wo mehrere Erdplatten zusammenstoßen. (afp)

„Wir mussten früher manchmal mit dem Boot zur Arbeit paddeln“, sagt Reno, ein Nachbar von Miati. Der 56-Jährige ist Händler und sitzt mit ein paar anderen Männern zum Plausch nach Feierabend vor dem Büro des Ortsvorstehers. Reno ist in Luar Batang geboren. „Besonders gut lässt sich die Entwicklung am Minarett nachvollziehen“, sagt er. Das Minarett der Masjid Luar Batang – eine der ältesten Moscheen Jakartas aus dem 18. Jahrhundert – ist wegen seines großen Gewichts sehr viel stärker in den Boden eingedrungen als der Rest des Viertels; seine Grundfläche befindet sich inzwischen unterhalb der Moschee.

Um ihr Stadtgebiet gegen den Ozean zu schützen, begann die Stadtverwaltung in den 2000er Jahren mit dem Bau einer Betonmauer, die dann immer wieder erhöht werden musste. „Bei uns war sie 2017 endlich fertig“, sagt der Händler Reno und nennt das „einen Segen“. Gleichzeitig seien nämlich auch die Gassen betoniert worden; der Sumpf, auf dem das Viertel steht, wurde damit quasi begraben. Weil auch hier einer jener Kanäle verläuft, die einst von den Holländern angelegt worden sind, musste die Mauer fast um ganz Luar Batang gezogen werden. Gleich gegenüber des Kanals befinden sich die einstigen Lagerhäuser der Niederländischen Ostindien-Kompanie, die heute ein Schifffahrtsmuseum beherbergen.

Frau Miati sitzt in einem bunten Kleid auf einer Bank vor ihrem Haus

Wenn im Radio Regen angesagt ist, räumt die 55-jährige Miati kostbare Dinge ins Obergeschoss ihres Hauses Foto: Nick Reimer

Nicht jeder Stadtteil hatte so viel Glück wie der von Miati und Reno, für manche kam der Bau der Mauer auch zu spät. An den Stadtteil Kampung Muara Baru erinnern nur noch wenige Mauern der ehemaligen Moschee, die heute von den Wellen der Javasee umspült werden. Auch ist der Mauerbau noch nicht komplett. An manchen Stellen – etwa im Hafen – sorgen Sandsackbarrieren dafür, den Ozean zurückzuhalten. Stellenweise mit nur mäßigem Erfolg, wie das überspülte Betriebsgelände eines Fuhrunternehmens zeigt: Reifen, Ersatzteile und Holzpaletten vergammeln hier im Salzwasser.

Freilich hat der Beton als Mauer und auf den Gassen nicht nur Vorteile. In Jakarta fließen die Flüsse nicht ins Meer, wie das normale Flüsse tun. Hier kommen sie drei, vier Meter unterhalb des Meeresspiegels an. Riesige Schöpfwerke sorgen dafür, dass die Differenz überwunden wird. Nicht überall gibt es aber solche Schöpfwerke, und wenn es in der tropischen Regenzeit ordentlich gießt, erweist sich der Beton in Luar Batang als „Badewanne“. Trotz der Betonmauer oder gerade wegen ihr gibt es hier regelmäßig Überschwemmungen.

2022 waren „50 Prozent des Stadtgebiets überflutet, zwischen 25 Zentimetern und vier Metern“, wie ein Sprecher der Katastrophenschutzbehörde damals erklärte. Im Jahr zuvor stand das Wasser stellenweise zwei Meter hoch. 2020 erlebte die Stadt den heftigsten Monsunregen seit der Wetteraufzeichnung 1866, was zur Katastrophe führte: 57 Menschen ertranken, 400.000 mussten ihre Häuser verlassen. Da half auch die Mauer vor Miatis Haustür nicht mehr. Reno sagt: „Ich halte mein Boot jedenfalls griffbereit“.

„Die Leute graben sich den Boden selbst unter den Füßen weg“, sagt Marc Goichot, Wasserexperte bei der für Südostasien zuständigen Abteilung der Umweltorganisation WWF. Jakarta sei nämlich viel schneller gewachsen, als die dafür notwendige Infrastruktur das zulasse. „Zum Beispiel beim Trinkwasser: Weil es davon zu wenig in guter Qualität gibt, werden in großer Zahl illegal Brunnen gegraben“, so der Wasserexperte. Nur etwa die Hälfte der Bewohner der Megastadt ist an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen – der Rest pumpt sich das Wasser selbst aus dem Boden. Auch auf vielen Baustellen ist es üblich, den Untergrund illegal anzuzapfen. „Wird aber Grundwasser in großem Maßstab entnommen, führt das automatisch zu Hohlräumen im Untergrund“, sagt Goichot. Und im Schwemmland würden diese Hohlräume durch nachströmende Sedimente gefüllt, was das ganze Bodensystem in Bewegung versetze: „Dadurch ist vorprogrammiert, dass die Oberfläche weiter absinkt“.

Giant Sea Wall

Wie dramatisch es um die Zukunft Jakartas steht, hat Indonesiens scheidender Präsident Joko Widodo – der überall nur Jokowi genannt wird – 2019 deutlich gemacht: Seine Regierung beschloss, Jakarta aufzugeben und eine neue Hauptstadt auf Borneo zu bauen. „Wir haben viele Untersuchungen studiert und in den vergangenen drei Jahren unsere Studien intensiviert“, sagte Jokowi damals. „Demnach ist der ideale Ort für die neue Hauptstadt in Ost-Kalimantan.“ Seit 2020 wird in jenem Teil Borneos, der zu Indonesien gehört, am neuen Regierungssitz gebaut, in der Provinz Kalimantan.

Eine Karte zeigt Indonesien

Foto: taz

Der Name der neuen Hauptstadt wird Nusantara lauten – was sich aus den Wörtern nūsa, für Insel, und antara, für dazwischenliegend, herleitet und die Region zwischen dem asiatischen Festland und Australien beschreibt: Indonesien. Fotos zeigen Straßen, Regierungsbauten, Wohnviertel, die bereits fertig gestellt sind. Im August dieses Jahres sollen die ersten Ministerien umziehen.

„Das ist doch Quatsch“, sagt Reno in Kampung Luar Batang, „Jakarta wird immer die Hauptstadt Indonesiens bleiben.“ Wirtschaftlich jedenfalls gibt es keinen anderen Ballungsraum im Land der 17.000 Inseln, der auch nur annähernd so prosperiert. „Statt Geld im Dschungel von Borneo zu versenken, sollte die Regierung lieber vor Jakartas Küste ein Sperrwerk wie vor Venedig errichten“, fordert er.

Tatsächlich gibt es solche Pläne. Einer davon ist der „Giant Sea Wall“, bei dem ein gigantischer Damm im Meer errichtet werden soll. 32 Kilometer lang soll der Deich werden, er würde die Bucht von Jakarta vom Meer abtrennen und eine Lagune schaffen. Fertig gestellt werden könnte das von niederländischen Experten entwickelte Projekt in den 2040er Jahren, die Baukosten werden auf über 30 Milliarden Euro taxiert. Experten sehen allerdings riesige Umweltprobleme durch den Deich: Befürchtet wird beispielsweise, dass Kepulauan Seribu – eine Kette von 130 palmengesäumten Inseln in der Bucht – durch veränderte Meeresströmungen weggespült werden könnte. Das Archipel ist ein beliebter Rückzugsort für hauptstadtgestresste Indonesier.

Auch die Schifffahrt, die Fischer und Muschelsammler sind gegen den Giga-Damm, weil sie dadurch den Zugang zum offenen Meer und ihre Fanggründe verlieren würden. Zudem bezweifeln viele Fachleute, dass Jakartas Zukunftsproblem durch eine künstlich angelegte Lagune gelöst werden kann. Denn natürlich würde auch der neue Wall nur auf jenem Untergrund errichtet, der immer weiter absinkt. Sein Gewicht würde den Prozess sogar beschleunigen. Und nach Prognosen des Weltklimarates IPCC wird der Meeresspiegel allein in den nächsten 75 Jahren um bis zu 80 Zentimeter ansteigen.

Zumal der Damm nicht alle Probleme lösen kann. Wärmere Luft kann mehr Wasser speichern, weshalb die Regenfälle immer heftiger ausfallen, die Überschwemmungen in Jakarta zunehmen. „Solche Fluten wie in den letzten drei Jahren hatten wir hier früher nicht“, sagt Miati. Jedes Mal stand eine stinkend braune Brühe in ihrer Küche, Plasteflaschen, alte Flip-Flops, Styropor und anderer Unrat schwamm obenauf. Vom Klimawandel hat sie noch nie etwas gehört, eine Bewegung wie Fridays for Future gibt es in Jakarta nicht. Dafür sind die Probleme zu gegenwärtig: Statt eine Mauer um Luar Batang zu bauen, versuchte die Stadtregierung 2016 das Viertel, wie viele andere auch, einfach abzureißen. Nur dank einer Klage durch den renommierten Anwalt Yusril Ihza Mahendra gelang es den Anwohnern, ihre Häuser zu verteidigen.

Zwar sind erste Inseln als Teil des neuen Damms bereits aufgeschüttet, doch das Projekt liegt derzeit auf Eis. Um die illegale Trinkwasser­entnahme zu verringern, haben die Provinz Jakarta und das Ministerium für öffentliche Bauvorhaben Anfang 2022 begonnen, neue Trinkwasserquellen in Westjava zu erschließen. Bis 2030 sollen alle Haushalte an das öffentliche Versorgungssystem angeschlossen sein, so der ehrgeizige Plan.

Eine versunkene Moschee, von der nur noch die Aussenwände aus dem Wasser ragen

Versunken in Ruinen: die ehemalige Moschee im Stadtteil Kampung Muara Baru in Jakarta Foto: Nick Reimer

Selbst wenn dies gelingt – stoppen wird auch das Jakartas Untergang nicht. „Sinkende Deltas lassen sich nur stabilisieren, wenn die natürlichen Transport- und Ablagerungsprozesse von jenen Sedimenten, die die Deltalandschaft einst erst erschuf, wiederhergestellt werden“, sagt Goichot, der WWF-Wasserexperte. Dafür wäre es notwendig, den Flüssen in der Stadt wieder mehr Raum zu geben, Flächen zu entsiegeln, Versickerungsmöglichkeiten zu schaffen. Vor allem notwendig wäre ein Verständnis der Verantwortlichen für das „System Schwemmland“, sagt Goichot, und ergänzt: „Dafür gibt es leider aber keine Anzeichen.“

Früher ist ihr Mann zur See gefahren, erzählt Miati, da war sie mit den Kindern oft wochenlang allein im Haus. „Heute arbeitet er zum Glück im Hafen und kommt abends nach Hause.“ Dann trinken sie gemeinsam ihren Kaffee, unterhalb des Meeresspiegels. Dabei hört Miati stets aufmerksam den Wetterbericht im Radio, denn: „Wenn starker Regen angesagt wird, stellen wir zur Sicherheit die kostbarsten Dinge schon mal ins Obergeschoss.“

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