Belegschaft gegen Privatisierung: Kein sicherer Hafen

Letzte Rettung oder Ausverkauf: Hamburg treibt die Privatisierung des Hafens voran. Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen sorgen sich um ihre Zukunft.

Containerschiffe in der Weser werden entladen

Trübe Aussichten am Hafen: Containerschifffahrt ist in der Krise Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Arno Münster ist nicht gut auf die drei mächtigsten Hamburger So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen zu sprechen – seine eigenen Genoss:innen. „Die haben es richtig verkackt“, sagt er. Er meint Bürgermeister Peter Tschentscher, Wirtschaftssenatorin und Landesvorsitzende Melanie Leonhard und Finanzsenator Andreas Dressel. An der Zukunft des Hamburger Hafens, wie sie die örtliche SPD-Spitze da im Geheimen über Monate hinweg eingefädelt hat, „ist nichts Sozialdemokratisches“, sagt Arno Münster, der nicht nur lange Jahre selbst für die SPD Politik machte, sondern auch sein ganzes Arbeitsleben im Hafen und als Betriebsrat verbrachte.

Was Ar­bei­te­r:in­nen wie Münster den „Ausverkauf des Hamburgers Hafens“ nennen, bedeutet konkret, dass der SPD-geführte Senat erstmals eine Kooperation mit einer jener großen privaten Reedereien eingehen will, deren Einfluss auf die globalen Warenströme in den vergangenen Jahren massiv zugenommen hat: Künftig soll das zentrale Hafenunternehmen an den Containerterminals, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), nahezu gleichberechtigt in Besitz von Stadt und der Mediterranian Shipping Company (MSC) sein.

Deutschlands größter Seehafen ist für Hamburg identitätsstiftend, als „Tor zur Welt“ vom Großbürgertum in Blankenese ebenso lokalpatriotisch bejubelt wie in einstigen Arbeitervierteln wie Barmbek oder auf der Veddel. Und so hat der ökonomische Interessengegensatz von Kapital und Arbeit in Hamburg zwei im Hafen angesiedelte Figuren, auf den sich die politischen Lager in Hamburg gern folkloristisch beziehen: Die des ehrbaren Kaufmanns und die des fleißigen Hafenarbeiters.

Die SPD, so sehen es die Hafen­ar­bei­ter:in­nen, pfeift beim MSC-Deal auf den fleißigen Hafenarbeiter, vernachlässigt also die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten zugunsten des großen Kapitals. Und damit treibt die SPD auch noch die Privatisierung von öffentlichem Eigentum voran. Das alles passt Arno Münster und vielen anderen Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen nicht.

Ein Leben als Genosse

Lange Zeit war er die laute Stimme der stolzen und selbstbewussten Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen in der Hamburger SPD – und stand dadurch auch persönlich für eine enge Bindung von So­zi­al­de­mo­kra­tie und Hafenarbeiter:innen. Bei der HHLA war er seit 1976 als Arbeiter beschäftigt, stieg später zum Lademeister – verantwortlich also für die Be- und Entladung von Containern im Hafenterminal – am Burchardkai auf. 2006 wurde er Vorsitzender des HHLA-Betriebsrats und blieb das auch, nachdem er zwei Jahre später erstmals für die SPD in die Hamburgische Bürgerschaft einzog. Zwölf Jahre verbrachte er im Parlament.

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Am 13. September 2023 hat es Münster und die aktiven Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen kalt erwischt. Weder die Belegschaft noch die Gewerkschaft war vor der Bekanntgabe in Kenntnis gesetzt worden. An jenem frühen Morgen hatten Tschentscher, Leonhard und Dressel vor Börsenbeginn kurzerhand etwas mitzuteilen – „zu einem wichtigen Vorhaben für den Hafen- und Wirtschaftsstandort Hamburg“, wie es in einer kaum 60 Minuten zuvor verschickten Ankündigung hieß.

Der Hamburger Senat sah sich zu einer drastischen Maßnahme genötigt, weil die Kräne im Vergleich zu den konkurrierenden nordwesteuropäischen Häfen in den vergangenen Jahren immer häufiger hochgeklappt still standen. So wenig Container wie zuletzt während der Weltwirtschaftskrise 2009 waren vergangenes Jahr von den großen Pötten an den Kaikanten gelöscht worden.

Es brauche einen potenten Partner, der viel Geld zur Verfügung hat, um in die Modernisierung der Terminals zu investieren. Weil er als Containerlieferant zugleich verspricht, mehr Ladung nach Hamburg zu bringen, sei MSC der optimale Partner, befand der Senat. Der Preis dafür sind nun schwindender öffentlicher Einfluss aufs Geschäft und die langfristige Aufgabe von Werten zu einem gegenwärtig verhältnismäßig niedrigen Preis.

Fünf-Jahres-Garantie als Galgenfrist

Für nicht viel mehr als „Lippenbekenntnisse“ hält Münster auch, was der Senat im Hinblick auf die Belegschaft mit MSC vereinbart hat: Die habe vorerst nichts zu befürchten. Die Arbeitsplätze seien für den vergleichsweise langen Zeitraum von fünf Jahren gesichert, auch an der Tarifbindung werde, bis dahin, festgehalten. Und: Die Belegschaft soll dauerhaft ihre vergleichsweise hohe Mitbestimmung im Unternehmen behalten.

Doch die Fünf-Jahres-Garantie empfinden viele Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen als Galgenfrist. „Und haben Sie schon mal davon gehört, dass man bei MSC den Begriff betriebliche Mitbestimmung kennt?“, fragt Münster rhetorisch. Durch ein neues Entscheidungsgremium oberhalb der HHLA-Führung, in dem die Angestellten nicht vertreten sein sollen, sehen sie bereits den Weg, wie MSC die Mitbestimmung umgehen will.

Zugetraut wird dem Unternehmen einiges: „Mafia Shipping Company“ stand zuletzt auf Protestschildern während einer Demonstration gegen den Deal, weil die im schweizerischen Genf sitzende MSC als straff patriarchal geführtes Unternehmen gilt. Da es nicht an der Börse gelistet ist, muss es nicht einmal Umsatzzahlen veröffentlichen. Selbst Experten, die die Bürgerschaft zu einer Anhörung lud und die eher die Vorteile am Einstieg betont hatten, beschreiben MSC als einen ziemlich „ruppigen“ Akteur im Vergleich zu anderen Reedereien: Wegen seiner Größe setzt er seine Interessen in den globalen Schifffahrt gewöhnlich recht rustikal durch.

Wilde Streiks im Hafen

An jenem Kai, an dem Münster jahrelang arbeitete, kam es zuletzt wegen des MSC-Deals zu einem wilden Streik: Rund 150 Ar­bei­te­r:in­nen stellten ihre Arbeit im November spontan ein, Kol­le­g:in­nen späterer Schichten erschienen nicht zur Arbeit, die Abfertigung am Terminal wurde eingestellt. In der Folge wollte die Konzernleitung die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende fristlos entlassen, nahm die Kündigung aber nach Protesten zurück. Schon unmittelbar nach der Ankündigung des Senats machten die Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen ordentlich Rabatz gegen den MSC-Deal: Mit Bengalos marschierten sie mehrfach demonstrierend durch die Innenstadt.

Dass die Wut vor allem auf die SPD groß ist, zeigte sich auch am Neujahrstag. Da lädt der Hamburger Bürgermeister traditionell die Bür­ge­r:in­nen zu einem offenen Empfang ein. Doch als einige Mit­ar­bei­te­r:in­nen der HHLA in gelben Warnwesten erschienen, wurde ihnen kurzerhand der Zutritt zum Rathaus verwehrt.

Auf so eine Idee war nicht einmal Tschentschers Vorvorgänger, der frühere CDU-Bürgermeister Ole von Beust, gekommen. Der hatte 2007 die erste Teilprivatisierung vorangetrieben, einige Hunderte wütende Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen tauchten daraufhin beim Neujahrsempfang im Rathaus auf – doch von Beust ließ sie mit ihrem Protest gewähren.

„Was weg ist, ist weg für immer“

Als Arbeiter und Betriebsrat im Hafen kämpfte auch Münster seinerzeit gegen diese erste Teilprivatisierung. Damals war die SPD noch in der Opposition und wetterte vehement gegen die Pläne der CDU. Sie seien eine historische Fehlentscheidung, beklagte der Spitzenkandidat für die damals anstehende Landeswahl, Michael Naumann: „Was weg ist, ist weg für immer.“

Das wird von den Kri­ti­ke­r:in­nen auch heute wieder gegen den MSC-Deal angeführt. Nur nicht mehr von der SPD, obwohl doch die anstehende zweite Privatisierungswelle deutlich spürbarer für die Beschäftigten werden dürfte. Die Stadt behielt damals schließlich mit fast 70 Prozent der Anteile ihren beherrschenden Einfluss, die Ar­bei­te­r:in­nen behielten ihre vergleichsweise hohen Löhne und die Vertretung im höchsten Betriebsgremium, dem HHLA-Aufsichtsrat.

Arno Münster betreffen die Folgen der Entscheidung beruflich zwar nicht mehr. Reagiert hat er darauf dennoch. Eigentlich hatte er schon direkt zum Ende des vergangenen Jahres seinen Parteiaustritt erklärt. Aber im Kurt-Schuhmacher-Haus, in dem die Hamburger SPD ihren Sitz hat, sei Münster das Ende als Genosse erst zum 31. Januar dieses Jahres bestätigt worden. „Na ja, sei es drum“, sagt er gelassen. Nach knapp 43 Jahren als Mitglied der SPD komme es auf den einen Monat ja nun auch nicht mehr an. „Die Partei wird nach dieser Aktion ohnehin noch mehr verlieren“, sagt Münster.

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