Die Wahrheit: Arno Schmidt lebt!

New York statt Bargfeld: Vom Großliteraten zum Großkoch. Ein eigenwilliger Schriftsteller ergreift die Flucht vor seiner Fangemeinde.

Illustration: Andreas Prüstel

Am Wochenende erschütterte die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 9. Dezember 2023 die Welt der Literatur mit einem brisanten Interview. Die Investigativabteilung der Münchner hatte einen der wichtigsten deutschen Schriftsteller an einem Ort aufgespürt, an dem ihn niemand erwartet hatte: Arno Schmidt lebt! Als Rentner im New Yorker Viertel Jackson Heights.

Sofort waren die Jünger des exzentrischen Großliteraten elektrisiert. Die Drähte zwischen den Zettelkasten-Entzifferern der Dechriffier-Syndikate glühten. Bislang war bekannt, dass Arno Schmidt im Jahr 1979 gestorben war. Und nun die Sensation: Der mittlerweile 92-Jährige lebt auf der anderen Seite des großen Teichs und erzählt den Reportern putzmunter, er habe in New York die Küche des Hotels Waldorf Astoria geleitet und „für die Reichen und Mächtigen aus der ganzen Welt“ gekocht. Für die SZ ein gewöhnliches „Gespräch über Löwenfleisch zum Dinner, den Kaffee für Conrad Hilton und den Unterschied zwischen Queen Elizabeth und Imelda Marcos“, für die Schmidtianer ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch und ein Wirbelsturm in einem.

Der im niedersächsischen Heidedörfchen Bargfeld einsiedlergleich mit seiner Frau Alice lebende Wortkünstler galt mit seinen sprachlich eigenwilligen Werken wie „Zettels Traum“ lange als Außenseiter der deutschen Literatur. Erst in den siebziger Jahren kam der Erfolg, und eine schier fanatische Lesergemeinde scharte sich um den Meister, dem der Mäzen Jan Philipp Reemtsma mit einer Stiftung den Fortbestand seines Werkes sicherte. Kurz darauf starb Schmidt. Angeblich.

Offenbar wollte er sich mit seinem vorgetäuschten Tod den Nachstellungen seiner Anhänger entziehen und flüchtete ins Waldorf Astoria, wo es „in den goldenen Jahren der Hotelküche kaum einen Prominenten gab, der nicht bei ihm gegessen hätte“, wie die SZ schreibt. Schmidt habe „für Frank Sinatra und Liza Minnelli, für Queen Elizabeth und den Kaiser von Japan gekocht“, über die er nur Gutes sagt: „Die meisten Gäste waren freundlich und haben gegessen.“

Flucht unter Klarnamen

Das Besondere an seiner Flucht war, dass Schmidt, um Verfolger abzuschütteln, weiterhin seinen Klarnamen verwendete und sich „Arno Schmidt“ nannte. So schlug er den hartnäckigen Enträtslern seiner Fangemeinde ein Schnippchen, die erwarteten, dass er einen Tarnnamen erfinden würde. Ein verschlüsseltes Anagramm wie „Martin D. Ochs“ wäre das Mindeste gewesen.

Offensichtlich waren Arno Schmidt die Banalitäten der oberen Zehntausend wichtiger als die Bedrängungen der Literaturwelt. Vermutlich war er aber auch einfach nur leergeschrieben. Also entschied er sich für den frühen „Tod“ mit 65 Jahren, um aus der Ferne seinen Nachruhm persönlich beobachten zu können. Eine Entscheidung, die unbedingt respektiert werden sollte. Dem Ruheständler Arno Schmidt in New York sei noch ein langes und ruhiges Leben gewünscht.

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kari

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