Koalitionsverhandlungen in Hessen: Showdown in Wiesbaden

Hessens Ministerpräsident will über seine nächste Koalition entscheiden. Ein Wechsel von den Grünen zur SPD hätte bundesweit Folgen.

Nahaufnahme von den Augen von Boris Rhein

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat die Wahl zwischen „Weiter-so“ und Experimenten Foto: Hannes P Albert/dpa

WIESBADEN taz | Kurz vor der Entscheidung wagen selbst Insider der hessischen Landespolitik keine Prognose, mit wem Ministerpräsident Boris Rhein Hessen zukünftig regieren will. Geht er mit den Grünen in eine dritte Legislaturperiode, oder setzt er den bisherigen Koalitionspartner vor die Tür? Sollte er sich an diesem Freitag für Koalitionsverhandlungen mit der SPD entscheiden, wäre das ein Signal mit Auswirkungen auch für die Bundespolitik.

Die SPD-Landesvorsitzende, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, würde ihre Partei in diesem Fall nach 25 Jahren in der Opposition in Hessen zurück in Regierungsverantwortung bringen. Für den amtierenden Vize-Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir, den die Grünen vor der Wahl sogar zum Ministerpräsidentenkandidaten ernannt hatten, wäre das nach dem enttäuschenden Wahlergebnis ein Tiefschlag und würde wohl sein vorzeitiges Karriereende einleiten.

Als sicher gilt nur, dass am Freitagvormittag die Gremien der Landes-CDU hinter verschlossenen Türen beraten. Um die Mittagszeit wird die Entscheidung erwartet. Selbst die möglichen Partner würden erst nach diesen Beratungen informiert, hieß es in Wiesbaden. Aus den vertraulichen Sondierungen mit beiden möglichen Partnern drangen bis zuletzt keine Informationen. Nur dass sie „atmosphärisch positiv und inhaltlich konstruktiv“ gewesen seien, gab Verhandlungsführer Rhein an, ohne eine Präferenz erkennen zu lassen.

Komfortabler Wahlsieg für Rhein

Vor fünf Wochen bescherten die WählerInnen dem hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Landeschef Rhein einen komfortablen Wahlsieg: 34,6 Prozent für die CDU sind zwar das zweitschlechteste Ergebnis in Hessen seit mehr als 50 Jahren, doch weil die Linken an der 5-Prozent-Hürde scheiterten und die AfD mit 18,4 Prozent besser abschnitt als die SPD (15,1 Prozent) und Grüne (14,8 Prozent), kann sich der Sieger unter den Verlierern einen Koalitionspartner aussuchen.

Seit einem Jahrzehnt regieren in Hessen CDU und Grüne in der ersten schwarz-grünen Koalition in einem Flächenland. Im Wahlkampf hatten beide die Zusammenarbeit als kons­truktiv gepriesen. Doch die Fortsetzung dieser Koalition gilt seit dem Wahltag nicht mehr als ausgemacht. Bereits im Wahlkampf setzte sich Rheins CDU polemisch von vermeintlich grünen Positionen ab. „Auto verbieten verboten!“, ließ Rhein plakatieren, in der Asyldebatte forderte er einen härteren Kurs.

In diesem Zusammenhang kritisierte er vornehmlich die Ampel im Bund, traf aber natürlich auch seinen grünen Regierungspartner. Mit der SPD, so konnte man Rheins Auftritt als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz lesen, wäre da mehr möglich als mit den Grünen in Bund und Ländern. Die bislang weitgehend geräuschlose Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen steht nach möglichen Koalitionsverhandlungen vor einer Bewährungsprobe.

Nach der Landtagswahl vor fünf Jahren, als rechnerisch sogar eine Grün-geführte Ampel unter Al-Wazir möglich gewesen wäre, hatte der damalige Ministerpräsident und CDU-Landeschef Volker Bouffier Zugeständnisse gemacht. Grüne RessortchefInnen waren in den fünf Jahren in vier wichtigen Ministerien unter anderem für Wirtschaft, Verkehr, Landesplanung, Energie, Umweltschutz, Landwirtschaft, Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Kunst – also für zentrale Bereiche der Landespolitik – zuständig.

SPD würde wohl nicht verzichten

Je erfolgreicher CDU-Chef Rhein bei Koalitionsverhandlungen die Macht der Grünen beschränken würde, desto höher wäre das Risiko, am Ende zu scheitern. Das Ergebnis von Koalitionsverhandlungen muss laut Grünen-Satzung nämlich bei einer Urabstimmung von rund zehntausend Mitgliedern gebilligt werden.

Bei der Hessen-SPD entscheidet eine Delegiertenkonferenz über einen Koalitionsvertrag. Die Delegierten würden nach den vielen Niederlagen der vergangenen Jahre die Chance auf eine Regierungsbeteiligung in Hessen ziemlich sicher nicht vorbeiziehen lassen. Nicht nur das geringere Risiko spricht für den Wechsel des Koalitionspartners. Rhein, der im Mai letzten Jahres das Amt des Ministerpräsidenten von Bouffier übernommen hatte, könnte sich damit von seinem Vorgänger absetzen. Bouffiers historische Leistung war es, die einst feindlichen Lager zusammenzuführen.

Die Grünen, die die Erzkonservativen in der hessischen CDU als „Stahlhelmfraktion“ beschimpft hatten, als Koalitionspartner mit ebendieser CDU, deren Vorleute die Grünen zuvor als „Sicherheitsrisiko“ und „Steinewerfer“ beschimpft worden waren? Der Rollentausch ist beiden nicht leicht gefallen. Nach der Regierungsbildung murrten in der CDU viele über den Machtzuwachs der Grünen. Mit SPD und CDU an der Macht dürfte sich beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, bei der Entwicklung des Frankfurter Flughafens und in der Landwirtschaft einiges ändern.

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