Israel-Solidarität in Berlin: Was hängen bleibt

In Berlin haben Polizist_innen Plakate der israelischen Hamas-Geiseln entfernt. Rechte Sticker und Katzengesuche bleiben. Das also sind die Prioritäten.

Ein abgerissenes Plakat, man kann noch das Wort "vermisst" lesen

Plakate der entführten israelischen Geiseln werden abgerissen – wie hier an einem Bauzaun in Berlin Foto: Clemens Bilan/epa

In Berlin gehen Menschen häufiger mal mit einem Messer auf die Straße. Nicht unbedingt, um ­andere anzugreifen oder sich auf die Schnelle eine Stulle schmieren zu können, sondern um unliebsame Sticker und Plakate von Stromkästen, Haustüren und Ampeln zu entfernen. Doch hat man einen Aufkleber der ­Neonazi-Partei Der Dritte Weg mühsam von der Metallstange einer Ampel gekratzt, klebt am nächsten Tag ein neuer dran. Und selbst aus banaleren Über­klebungsaktionen wie zwischen St. Pauli und Hansa Rostock-Fans entwickelt sich schnell eine Klebe-Schlacht darum, welcher Verein am Ende auf den Straßen sichtbar bleibt.

Wildes Stickern und Plakatieren an öffentlichen oder privaten Orten ist verboten. Es kann als Ordnungswidrigkeit gelten und unter bestimmten Umständen zu Bußgeld oder einer Strafanzeige führen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis interessieren sich die Behörden relativ wenig dafür. Die Stadt gleicht einem bunten Sammelsurium aus politischen Statements, Flohmarktankündigungen und Suchplakaten für entlaufene Katzen.

Doch jetzt haben Berliner Polizist_innen mal durchgegriffen. In sozialen Medien kursiert ein Video, in dem drei Beamt_innen Plakate mit den Fotos der Hamas-Geiseln von einer Litfaßsäule rissen. Auf der ganzen Welt wurden diese Plakate aufgehängt, um an die israelischen Geiseln zu erinnern, die sich noch immer in Gefangenschaft der Terrororganisation befinden. Und auf der ganzen Welt wurden die Plakate von antiisraelischen Demonstrant_innen abgerissen. Und nun eben auch von der Berliner Polizei.

Laut Tagesspiegel sollen die Polizist_innen vor der Entfernung Rücksprache mit dem Staatsschutz des LKA gehalten haben, eine Anzeige der Eigentümer_innen der Litfaßsäule soll nicht vorgelegen haben. Die Polizei begründet das Vorgehen mit dem Verstoß gegen das Pressegesetz, da ein Impressum auf den Plakaten gefehlt habe. Ein Ermittlungsverfahren sei eingeleitet.

Wann die Polizei keine Zeit hat

Das mag juristisch richtig sein, moralisch ist es falsch. Denn es verweist auf eine falsche Priorisierung der Polizei. Sticker und Plakate ohne Impressum gibt es zuhauf in der Stadt. Und während antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Plakate oft wochenlang im öffentlichen Raum hängen bleiben, sahen sich die Beamt_innen hier in der Pflicht, auf Recht und Ordnung zu pochen.

Besonders empörend ist das im Vergleich zum Umgang mit einem antisemitischen Vorfall in Berlin. Kürzlich hatten Unbekannte an die Wand eines Mehrfamilienhauses in Prenzlauer Berg einen Davidstern gemalt. Eine antisemitische Drohung – schließlich wurden in der NS-Zeit Häuser mit Davidsternen markiert, um Juden und Jüdinnen kenntlich zu machen.

Wer sich solidarisch zeigen möchten, muss weiter mit Messerchen und Aceton auf die Straße

Laut Medienberichten rief eine jüdische Bewohnerin des Hauses die Polizei. Doch die sagte, sie hätten keine Kapazitäten und empfahl eine Onlineanzeige. Zudem rieten sie ihr, den Davidstern zu entfernen, um Weiteres zu verhindern. Die Frau griff also selbst zum Aceton, um den Stern von ihrem Haus zu schrubben.

Während Jüdinnen und Juden selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen, reißt die Polizei Plakate der Geiseln ab. Statt dieses Vorgehen zu verurteilen, ging Polizeipräsidentin Barbara Slowik mit einer Nicht-Entschuldigung an die Öffentlichkeit, in der sie bedauerte, dass „Menschen der israelisch/jüdischen Community verletzt wurden“. Für all diejenigen, die sich solidarisch zeigen möchten, kann das nur heißen, weiter mit Messerchen und Aceton auf die Straße zu gehen, um antisemitische Symbole und Parolen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.