Regierungskritische Proteste in Syrien: Syrien will so nicht weitermachen

Vor allem im Süden Syriens dauern die Proteste gegen das Assad-Regime an. Die Unzufriedenheit ist jedoch im ganzen Land groß.

Proteste in Suwaida

Seit über sechs Wochen wird gegen die Assad-Regierung in der südsyrischen Stadt Suwaida protestiert – hier Ende September Foto: Sam Hariri/afp

AMMAN taz | Auch am vergangenen Freitag füllte sich der Karama-Platz in der südsyrischen Stadt Suwaida mit bunt gestreiften drusischen Flaggen. Aufnahmen von Medien und Ak­ti­vis­t*in­nen zeigen Hunderte, wenn nicht Tausende Protestierende. Seit über sechs Wochen gehen Männer und Frauen auf die Straße. Am kommenden Freitag sind auch Proteste geplant.

Manche fordern die Umsetzung der UN-Resolution 2254, die eine Waffenruhe und demokratische Entwicklungen vorsieht. Andere halten syrische Flaggen, darauf zu lesen: „Das syrische Volk ist eins“. Das Nachrichtenportal Suwayda24 berichtet, dass in Nachbarstädten Statuen der Assad-Familie zerstört und Büros der herrschenden Baath-Partei geschlossen wurden.

Eine junge Demonstrantin, Lujain Hamza, sagt: „Ich träume von einem laizistischen Land mit einer demokratischen Regierung. Wir wollen es wiederaufbauen und einen Rechtsstaat etablieren“. Respekt für Menschen- und Frauenrechte und ein Ende der Unterdrückung seien ihr wichtig. „Anfangs waren die Proteste eine Beanstandung der wirtschaftlichen Lage“, sagt ein weiterer Demonstrant auf Nachfrage der taz. „Wir wissen aber, dass das Regime nicht in der Lage ist, eine Besserung der Lebensumstände zu gewährleisten. Daher kamen die Forderungen, dieses zu stürzen.“ Doch nicht nur das. „Wir verlangen ebenso einen Kampf gegen die Korruption sowie einen Stopp des Drogenhandels“, fügt der 59-Jährige hinzu.

Stromausfälle, Armut und Drogenhandel

Der Süden Syriens hat sich in den letzten Jahren zum Schauplatz des Exports von Drogen wie Captagon entwickelt. Immer wieder schießt das jordanische Militär Drohnen ab, die illegale Substanzen über die Grenze fliegen. Vor allem aber leidet Syrien unter massiven Stromausfällen, wachsender Armut und steigenden Preisen. Als die Regierung um Präsident Baschar al-Assad im August die Subventionen für Benzin kappte, kam es in mehreren Städten zu Protesten – sogar in Gebieten unter Kontrolle des Regimes: in Suwaida, in dem mehrheitlich Drus*­in­nen leben, aber auch im sunnitischen Daraa, das seit 2011 als „Wiege der Revolution“ bekannt ist; dann im Nordwesten in Solidarität mit dem Süden. Sogar im mehrheitlich alawitischen Tartus gab es laut Reuters alternative Protestformen wie Post­karten gegen die Baath-Partei.

Carsten Wieland, Nahost-Experte

„Ich sehe keinen unmittelbarenSturz von Assad“

In den letzten Jahren haben kleinere Demonstrationen in Syrien immer wieder stattgefunden, meist fernab internatio­naler Aufmerksamkeit. „Auch in Regimegebieten haben sie nie vollständig aufgehört“, sagt Nahost-Experte Carsten Wieland. Dass die Drus*­in­nen so stark und massiv protestieren, sei hingegen neu. „Die Unzufriedenheit mit Assad ist groß.“ Und zwar quer durch alle Bevölkerungsgruppen.

Die Proteste könnte das Regime unter Druck setzen

„Die Proteste in Suwaida sind sicherlich ein wichtiges Zeichen für viele Menschen und könnten schon in den nächsten Monaten dazu führen, dass Assad zunehmend Probleme bekommt. Aber ich sehe keinen unmittelbaren Sturz“, urteilt Wieland. Die Stärke der Proteste sei symbolisch: gezeigt zu haben, dass das Land so nicht weitermachen könne. Dass Assads Regierung, nicht die Sanktionen, am Elend in der Bevölkerung schuld ist. Dies könnte das Regime unter Druck setzen. Wahrscheinlich ist jedoch, dass der Frust nicht so leicht nachlässt, ohne „unmittelbare Lösungen für die syrische Wirtschaft“, sagt Armenak Tokmajyan, Konfliktforscher am Carnegie Middle East Center in Beirut.

Momentan dauern die Demonstrationen jedoch vor allem im Süden an. Laut Tokmajyan hat dies mit der schwächeren Präsenz der Regierung dort zu tun. Nour Radwan, Direktor des Nachrichtenportals Suwayda24, bestätigt: „Es gibt ein bisschen mehr Freiheit in Suwaida.“ Unterschiedliche Milizen befinden sich im Gebiet. Für Radwan könnte eventuell hier eine neue politische Bewegung beginnen. „Die Menschen hier reden nicht von wirtschaftlichen Lösungen, sondern von politischen. Und zwar für ganz Syrien.“

Bereits im August trat eine neue Gruppe, die Bewegung 10. August, auf die Bühne – junge syrische Aktivist*innen, die soziale Gerechtigkeit und demokratische Entwicklungen anstreben, dabei Extremismus und Gewalt ablehnen. Meistens sind sie online aktiv. Doch Vertrauen sei hart zu gewinnen. „Wenn jemand in Syrien dazu ermuntert, über Assad zu reden, denkt jeder, dass die Person vom Geheimdienst ist“, sagt Radwan.

Bisher keine Gewalt gegen De­mons­tran­t*in­nen

Bislang ging Assad eher mild mit den Protesten um. Zum einen genießt das Regime weniger Unterstützung als vor zwölf Jahren. Zum anderen will es wahrscheinlich vermeiden, eine Revolte hervorzurufen. Und aus Sicht von Damaskus seien die Aufstände noch „räumlich begrenzt“, so Wieland. Das Risiko sei eher, dass die Anführer später nach und nach „liquidiert“ werden. Auch für Tokmajyan ist es „unwahrscheinlich“, dass die Regierung Gewalt gegen die De­mons­tran­t*in­nen in Suwaida anwendet. Doch genauso unwahrscheinlich sei, dass Assad große Zugeständnisse macht. Denn sonst könnten weitere Gebiete aufstehen.

International gab es bislang, bis auf vereinzelte Stellungnahmen westlicher Regierungen, wenig Unterstützung für die Demonstrierenden. Die Folgen der Revolution 2011, der Bürgerkrieg mit mehr als 300.000 Toten und 14 Millionen Vertriebenen wirken indes heute noch nach. „Die einzige Möglichkeit, die Protestierenden zu unterstützen, wäre durch einen humanitären Korridor durch Jordanien. Aber Amman ist nicht daran interessiert, die Beziehungen zu Assad zu eskalieren“, sagt Wieland. Denn das haschemitische Königreich ist auf die Kooperation Assads angewiesen, um den Drogenhandel an seiner Grenze zu stoppen. Erst dieses Jahr ist Syrien in die Arabische Liga wieder aufgenommen worden. Doch die arabischen Länder seien laut Wieland von Assad „zunehmend frustriert“ – wegen des Drogenhandels und weil er sich als Sieger betrachtet, doch die Probleme des Landes nicht in den Griff bekommt.

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