Spitzenfahrer bei der Spanienrundfahrt: Western-Szenen im Radsport

Remco Evenepoel ist Titelverteidiger bei der Vuelta. Doch die Konkurrenz ist krass – vor allem im Rennstall von Tour-de-France-Sieger Vingegaard.

Remco Evenepoel nach Überqueren der Ziellinie

Zu Beginn der Vuelta trug noch Remco Evenepoel das begehrte rote Trikot Foto: Josep Lago/Belga/dpa

Die dritte Grand Tour des Jahres bietet mal wieder viel Stoff. Vorjahressieger Remco Evenepoel muss sich aktuell gleich dreier Gegner erwehren – die allesamt für den gleichen Arbeitgeber tätig sind. So eine Konstellation einer gegen drei ist im Radsport sehr selten. Sie erinnert eher an Western-Szenarien, wenn der eine – meist mit Attributen des Guten ausgestattete – Revolverheld sich gegen eine ganze Schar schießwütiger Finsterlinge durchsetzen muss.

Die Übermacht-Rolle nimmt Jumbo-Visma ein. Der Rennstall stellt auch den Mann im roten Leadertrikot. Es handelt sich dabei aber nicht um den bereits dreifachen Vuelta-Sieger Primoz Roglic, auch nicht um den doppelten Tour-de-France-Gewinner Jonas Vingegaard, sondern um deren Edelhelfer Sepp Kuss.

Der Amerikaner ist auch gewillt, die Führungsposition über das Zeitfahren am Dienstag hinaus zu verteidigen. Er sei zwar nicht so gut in dieser Disziplin wie der aktuelle Weltmeister Evenepoel, Zeitfahrolympiasieger Roglic oder auch Vingegaard, der bei seinem zweiten Tour-de-France-Sieg sehr deutlich das Zeitfahren gewann, schränkte er ein. „Aber ich werde mein Bestes geben. Es gibt keinen Grund, die Führung einfach abzugeben. Die härtesten Etappen kommen ja auch erst noch“, bilanzierte er am ersten Ruhetag der Rundfahrt.

Kuss unterstreicht mit seiner Leistung den Wahrheitsgehalt einer eher lässig hingeworfenen Bemerkung, mit der Roglic zu Beginn des Rennens jegliche Spekulation über teaminterne Duelle zwischen ihm und Vingegaard abzubügeln versucht hatte. „Wir wollen als Team diese Vuelta gewinnen, und ob ich das bin oder Jonas oder vielleicht auch Sepp Kuss, der ebenfalls da ist für uns, ist ziemlich egal“, sagte der Slowene.

Blutverlust nach Zusammenprall

Aktuell ist Kuss vorn. Und Titelverteidiger Evenepoel darf nicht den Überblick verlieren, welcher Jumbo-Athlet für ihn gerade am gefährlichsten ist. Bis zur Massenflucht auf der 6. Etappe, die Kuss auf den Kurs für Rot brachte, hatte der Belgier die Lage noch gut im Griff. Er wog beim verregneten Teamzeitfahren zum Auftakt von allen Favoriten am besten zwischen Geschwindigkeit und Sicherheit ab. Er holte sich früh einen Bergetappensieg und ließ sich nicht einmal von beträchtlichem Blutverlust nach dem Zusammenprall mit einer Polizistin in Andorra aufhalten.

In Hochdopingzeiten führten sich Profis bei Grand Tours noch halbliterweise Eigenblut zu, um mehr Energie zu haben. Jetzt verliert Evenepoel Blut – ist auch wesentlich genaueren Kontrollen aufgrund des Blutpasses unterworfen – und trotzdem ist er weiter mit vorn dabei. Zwar liegt er 2:22 Minuten hinter Kuss. Er behauptet aber sieben Sekunden Vorsprung auf Roglic und deren elf auf Vingegaard.

Allerdings verliert er aufgrund der vielen Gegner aus dem gleichen Lager mitunter die Übersicht. Auf der 8. Etappe machte er im Finale brutal Tempo, ließ dann Roglic aber knapp an sich vorbei. „Ich hatte nicht gewusst, dass vor uns gar keine Ausreißer mehr waren und es um den Etappensieg ging“, erklärte er später.

Sturm sorgt für mangelnde Sicherheit

Tags darauf sah er an der durch Verkehrshütchen markierten Zeitnahmestelle etwa zwei Kilometer vor dem Ziel auch nicht sehr souverän aus. Roglic riss eine kleine Lücke, Vingegaard allerdings fiel noch hinter Evenepoel zurück. Aus unerfindlichen Gründen wurde alle drei mit der gleichen Zeit gewertet. Die unkonventionelle Zeitnahme weit vor dem eigentlichen Ziel war dem Sturmtief „Dana“ geschuldet, das weite Teile Spaniens überflutete und für Schlamm im Zielbereich sorgte.

Evenepoel verliert aufgrund der vielen Gegner aus dem gleichen Lager mitunter die Übersicht

Nach harter Kritik einiger Fahrer wegen mangelnder Sicherheit der Rennstrecke bei vorhergehenden Etappen wollten es die Vuelta-Bosse nun besser machen. Weil es dann doch nicht regnete und die Favoriten ausnehmend gemütlich zum Ziel hochschlichen, wirkte die Entscheidung aber etwas unglücklich.

Nicht aufhalten von Dana-Gefahr und Zielmarkierungskorrekturen ließ sich Lennard Kämna. Der Bora-hansgrohe-Profi holte sich als Solist den Etappensieg. Er ist damit beim Giro, bei der Tour de France und bei der Vuelta erfolgreich gewesen.

Im Klassement läuft es wohl darauf hinaus, dass entweder Evenepoel seine zweite Spanienrundfahrt gewinnt, Roglic seine vierte oder Vinge­gaard zeigt, dass er nicht nur Tour de France kann. Vielleicht gewinnt auch Kuss und unterstreicht damit ganz furios die Jumbo-Dominanz. Der Rennstall hätte nicht nur alle drei Grand Tours in diesem Jahr gewonnen, sondern dieses Kunststück noch mit drei verschiedenen Fahrern vollführt. Sie wären dann so etwas wie das Real-Bayern-City des Radsports. Und nur einer kann das verhindern: Ex-Fußballer Remco Evenepoel.

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