Syrien-Konferenz in Brüssel: Viel Geld, noch mehr Not

Im 13. Jahr des Syrienkonflikts leiden die Menschen mehr denn je. In Brüssel hat die internationale Gemeinschaft Hilfen in Milliardenhöhe zugesagt.

Drei kleine syrische Kinder gehen an ihren Familienzelten vorbei

Zu Hause im Zelt: Viele syrische Kinder kennen nichts anderes – Bar Elias, Libanon

BERLIN taz | Es war ein Gänsehautmoment auf der von Zahlen, Fakten und internationalem NGO-Sprech dominierten Syrienkonferenz, zu der die EU am Mittwoch und Donnerstag geladen hatte. Amany Qaddour von der Hilfsorganisation Syria Relief & Development ergriff vor vollem Saal das Wort, um von der syrischen Nothelferin Heba zu erzählen. Seit dem Erdbeben im Februar quäle Heba die Frage, warum sie nicht mit all den anderen einfach gestorben sei. Qaddour brach die Stimme, sie kämpfte mit den Tränen, bevor sie noch sagte: „Die unter uns, die dazu noch in der Lage sind, sollten ihre Bemühungen fortsetzen und helfen.“

Ansonsten ging es am Donnerstag vor allem um Geld: Deutschland sagte insgesamt rund 1 Milliarde Euro zu – zur „Bewältigung der Flüchtlingskrise in Syrien und der Region“, wie es hieß. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte die Zusage der EU über 1,5 Milliarden Euro für 2023 und sagte weitere 560 Millionen Euro für 2024 zu. Insgesamt kamen Zusagen in Höhe von umgerechnet 5,6 Milliarden Euro zusammen. Hinzu kommen Kreditzusagen in Höhe von weiteren vier Milliarden Euro.

Obwohl sich innerhalb Sy­riens politisch seit Jahren nicht mehr viel verändert, bleibt die Krise akut: im Land selbst wie auch in den Nachbarländern, in denen mehrere Millionen Geflüchtete Zuflucht gesucht haben. Relativ wenige Sy­re­r*in­nen sind bislang in ihr Heimatland zurückgekehrt, offenbar erscheint den meisten die Lage zu unsicher. Im Land selbst sind unterdessen zwei von drei Menschen auf Hilfe angewiesen.

Fadi al-Dairi von der Organisation Hand in Hand for Aid & Development berichtete am Mittwoch von Familien, die sein Team aus Zelten in „würdige Unterkünfte“ umgesiedelt habe, was im Fachsprech für robuste Gebäude steht, die ein Mindestmaß an Sicherheit und Privatsphäre bieten. „Als Erstes fassten die Kinder die Wände an“, erzählte al-Dairi. „Sie wurden in Zelten geboren und wuchsen in Zelten auf, für sie war das eine völlig neue Erfahrung.“

Seit 2011 wurden in Syrien insgesamt 13 Millionen Menschen vertrieben. Rund die Hälfte von ihnen flüchtete ins Ausland. Damit liegt Syrien weiter an erster Stelle der Herkunftsländer von Geflüchteten weltweit. Von den Binnenflüchtlingen haben sich viele im Nordwesten Syriens gesammelt, der weiter von Aufständischen kontrolliert wird. In dem Gebiet leben rund 4,5 Millionen Menschen; laut UNO sind fast alle auf Hilfe angewiesen. Je­de*r Zweite lebt in einem Lager.

Aber auch in anderen Landesteilen herrschen multiple Krisen: von Strom- und Wasserknappheit über Cholera bis zu einer Wirtschaftskrise. „Der Bedarf an Hilfe ist auf dem Höchststand in Syrien und den benachbarten Aufnahmeländern“, schreibt die Hilfsorganisation World Vision in einem Bericht. „Unterdessen gehen die Mittel für die Syrienkrise Jahr für Jahr zurück, während eine politische Lösung für den anhaltenden Krieg unwahrscheinlich bleibt.“

Mangelnde Nachhaltigkeit der Syrienhilfe

Al-Dairi betonte, dass die internationale Gemeinschaft der Tatsache Rechnung tragen müsse, dass es sich in Syrien um einen dauerhaften Konflikt handele. Nicht Nothilfe allein, sondern die Stärkung lokaler Strukturen müsse im Mittelpunkt stehen sowie die Befähigung der Menschen, mit den Krisen umzugehen. „Wir haben gegenüber den lokalen Gemeinschaften versagt, indem wir immer mehr Hilfe, mehr Lebensmittelkörbe, mehr Hygienesets geliefert haben“, sagte al-Dairi. „Was wir hätten tun sollen, ist die Stärkung der lokalen Gemeinschaft und die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten.“

Damit sprach al-Dairi ein Thema an, das immer wieder aufkam am Mittwoch, an dem in Brüssel nicht Politiker*innen, sondern syrische Zivilgesellschafts- und Hilfsorganisationen das Sagen hatten – die mangelnde Nachhaltigkeit der humanitären Hilfe. Auch Qaddour forderte in einer Zusammenfassung der Diskussionen: Statt reine Überlebensmaßnahmen zu ergreifen, müsse im 13. Jahr des Konflikts endlich dazu übergegangen werden, den Menschen zu helfen, wieder eine Art normales Leben aufzunehmen. In der humanitären Hilfe zählen beispielsweise die Wiederherstellung von Wasserinfrastruktur oder die Unterstützung der lokalen Landwirtschaft zu solchen nachhaltigen Maßnahmen, also frühe Wiederaufbauhilfe.

Hinter dieser Diskussion steht die großpolitische Debatte über einen Wiederaufbau Syriens und die negativen Auswirkungen internationaler Sank­tio­nen gegen das Regime von Baschar al-Assad. Die Sanktionen erschweren es beispielsweise lokalen Organisationen, die internationale Hilfen bekommen, mit Regierungsbehörden zusammenzuarbeiten. Hintergrund der Sanktionen ist, dass Staaten keinen Beitrag zu einem Wiederaufbau leisten wollen, der letztendlich dem Assad-Regime zugutekommen würde.

Hilfsorganisationen fordern langfristige Zusagen

Obwohl Assad rund zwei Drittel Syriens zurückerobert hat, ist eine politische Lösung des Konflikts nicht in Sicht. Deshalb betonten etliche Vertreter von Hilfsorganisationen, dass es vor allem Zusagen für langfristige Hilfe von den Geberländern brauche. „Wir können nicht ein Kind ein Jahr lang ausbilden und dann sagen, dass wir kein Geld für das nächste Jahr haben“, so Adele Khodr von Unicef.

Die Hilfen, die am Donnerstag zugesagt wurden, fließen an Organisationen in Syrien sowie in benachbarten Aufnahmeländern. Auch den Gesellschaften in der Türkei, Libanon und Jordanien zu helfen, sei essenziell, betonten mehrere Sprecher*in­nen. Sie berichteten von Konkurrenz zwischen Sy­re­r*in­nen und Einheimischen und einer zunehmenden Abneigung gegen Geflüchtete. Der türkische Botschafter forderte am Donnerstag, Geflüchtete darin zu unterstützen, freiwillig zurückzukehren. Aus dem Libanon wurden dieses Jahr laut Menschenrechtsorganisationen mehrere hundert syrische Geflüchtete deportiert.

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