Abtreibungen in Bremen: Ungewollt Schwangere ohne Hilfe

In Bremen muss das Medizinische Zentrum bald erneut wegen Ärztemangels schließen. Pro Woche erhalten 30 bis 50 Frauen keinen Schwangerschaftsabbruch.

Ein Mann hält ein Schild, auf dem steht: "Abortion = Healthcare"

In Bremen ist dieser Teil der Gesundheitsversorgung prekär: Schwangerschaftsabbruch Foto: Colin LLoyd/Unsplash

BREMEN taz | Verzweifelt und wütend seien die beiden Frauen gewesen, erzählt am Donnerstag Lea Pawlik, die Geschäftsführerin des Bremer Landesverbands von „pro familia“ am Telefon, sie ist hörbar aufgewühlt. Die zwei Ukrainerinnen hätten am Vortag einen Arzt oder eine Ärztin sprechen wollen, der oder die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen kann. Doch an dem Tag sei nur ein Arzt da gewesen, der eine Sterilisation bei Männern machte, sagt Pawlik, und die wenigen Termine für Abtreibungen, die sie in ihrem medizinischen Zentrum in Schwachhausen derzeit anbieten können, seien Wochen im Voraus ausgebucht. „Sie haben uns angeschrien und sind ins Haus eingedrungen“, sagt Pawlik. Am Ende habe sie die Polizei rufen müssen. Sonst würden sie „nur“ am Telefon beschimpft. „Das haben wir seit einigen Wochen täglich.“

Pawlik führt den Landesverband seit einem Jahr und ist seitdem wie ihre Vorgängerin mit fast nichts anderem beschäftigt als der Suche nach Ärzten und Ärztinnen, die tageweise Schwangerschaftsabbrüche bis zur 14. Woche durchführen.

Seit Jahren spitzt sich die Personalnot immer mehr zu, muss das Angebot eingeschränkt werden. Im August schloss das medizinische Zentrum sogar für zwei Wochen, eine weitere Woche konnten nur Abbrüche an einem Tag durchgeführt werden. Im Oktober, so kündigt Pawlik an, wird das Zentrum wieder für ein oder zwei Wochen schließen.

30 bis 50 Frauen pro Woche bleiben dann unversorgt in Bremen, so wie im August. Da kam erschwerend hinzu, dass die kommunalen Kliniken wegen Personalmangels keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführten. Es gibt nur wenige niedergelassene Bremer Gynäkolog:innen, die Abtreibungen machen, in der Regel nur bei eigenen Patient:innen.

„Wir haben den Frauen Adressen in Hamburg, Oldenburg und Verden gegeben“, sagt Pawlik, die daraufhin den Praxen und Kliniken erklären musste, warum so viele bei ihnen anriefen. Denn in Großstädten gibt es – zumindest in Norddeutschland – meistens noch genug Praxen, die wenigstens einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anbieten, so wie in Hamburg und Hannover.

150 Kilometer bis zur nächsten Praxis

In Bremen ist das anders, weil es seit 1979 das medizinische Zentrum von „pro familia“ gibt, eine Tagesklinik für ambulante Operationen. Im Durchschnitt finden hier 85 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche im Land Bremen statt. Etwa die Hälfte der Frauen kommt aus Niedersachsen, wo es Landkreise gibt, in denen es im Umkreis von bis zu 150 Kilometern keine Praxis oder Klinik gibt, die Schwangeren in diesen Fällen hilft.

Das ist ein Problem, das ganz Deutschland betrifft. Vor allem in katholisch geprägten Regionen war das immer schon so. In anderen wie in Bremen gehen Ärz­t:in­nen in Rente, die Schwangerschaftsabbrüche als Teil ihres Berufs verstanden haben, ihre Nach­fol­ge­r:in­nen hingegen verweigern diese medizinische Leistung. Möglich ist dies, weil es in Deutschland das Schwangerschaftskonfliktgesetz gibt, in dem fest gelegt ist, dass niemand zur Teilnahme an einem Abbruch gezwungen werden kann.

Zur Bremer „pro familia“ kommen auch deshalb viele Personen, weil der Eingriff hier auch in lokaler Narkose durchgeführt wird und sie bis zur 14. Schwangerschaftswoche behandelt werden. Vielen andere Praxen und Kliniken machen dies nur bis zur neunten oder zehnten Woche.

Dabei wird bis zur 14. Woche nach der letzten Menstruation eine Abtreibung nicht strafrechtlich verfolgt. Vorausgesetzt, es gab vorher ein Beratungsgespräch und eine dreitägige Bedenkfrist. Nach Ablauf der Frist entscheiden Ärzt:innen, ob ein Austragen der Schwangerschaft nach ihrer Ansicht zumutbar ist. Eine Chance auf einen Abbruch haben Frauen fast nur dann, wenn eine Behinderung des Fötus diagnostiziert wird. Dabei steht im Gesetz ausdrücklich, dass es um den körperlichen oder seelischen Zustand der Frau geht, der ausschlaggebend sein soll.

In Bremen und Niedersachsen wird es jetzt einige geben, deren Schwangerschaft zu weit fortgeschritten ist, um legal und sicher abgebrochen zu werden. Wer es sich leisten kann, fährt nach Holland, wo nach taz-Recherchen jede dritte bis vierte Schwangere mit Wohnsitz Deutschland im zweiten Trimenon die Schwangerschaft abbrechen lässt. Sie müssen die Kosten selbst tragen.

In Holland ist der Eingriff bis zur 24. Schwangerschaftswoche in spezialisierten Tageskliniken möglich. „Es kommen jetzt immer mehr Frauen aus Deutschland schon im ersten Schwangerschaftsdrittel zu uns, weil ihnen niemand hilft“, erzählt Gabie Raven am Telefon.

Die Ärztin leitet eine solche Klinik mit Standorten in Rotterdam und Roermond, die auch zu Verhütung und Wechseljahren berät. Roermond liegt nahe der deutschen Grenze zu Mönchengladbach. „Erst gestern hatte ich zwei Frauen hier, die in Deutschland niemand gefunden haben oder deren Termine so lange verschoben wurden, bis sie über die 14-Wochen-Frist waren.“

Bremen setzt mehr auf medikamentöse Abbrüche

Lösen kann ein Bundesland wie Bremen das Problem nicht. „Das Gesetz bindet uns die Hände“, sagt Diana Schlee, Sprecherin der Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard von der Linken. Denn der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch nimmt dem Staat jegliche Einflussmöglichkeit. Eine Straftat darf nicht gefördert werden, sie ist keine Kassenleistung, weswegen Kliniken nicht verpflichtet werden können, die Versorgung sicherzustellen.

„Das einzige, was wir machen können, sind Gespräche mit Ärzten und Ärztinnen zu führen, um sie zu überzeugen, die Leistung anzubieten“, sagt Schlee. In Kooperation mit der Bremer Ärztekammer gab es am Samstag eine Fortbildung zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, 19 Ärzt:innen, darunter auch Haus­ärz­t:in­nen, hatten sich angemeldet. In Bremen wird diese Methode, die im Vergleich zum chirurgischen Abbruch relativ leicht durchzuführen ist, nur in einem Fünftel der Eingriffe angewendet, im Bundesdurchschnitt sind es ein Drittel, in Berlin sogar die Hälfte.

Allerdings ist der medikamentöse Abbruch in Deutschland nur bis zur 9. Schwangerschaftswoche möglich. Und die meisten Ärz­t:in­nen würden das wie „pro familia“ nur machen, wenn die Frau ausreichend Deutsch versteht, sagt Landesgeschäftsführerin Lea Pawlik. Denn die Frau müsse wissen, was passiert, wenn zu Hause die Blutungen einsetzen.

Pawlik überlegt, an der Eingangstür ein Schild aufzuhängen, das einerseits den Ärz­t:in­nen­man­gel erklärt und andererseits, das „pro familia“ eine private Organisation sei. „Viele denken, wir machen das im Auftrag des Landes oder sind gar eine staatliche Einrichtung, aber wir schließen ja nur eine Lücke, die der Staat mit dem Paragrafen 218 geschaffen hat.“ Gewinne erwirtschafte man so nicht, im Gegenteil. „Wir machen das nur für die Frauen. Aber wie lange noch, das kann ich nicht sagen“, meint Pawlik.

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