Kommentar über Kirche und Moral: Professionelle Christen

Braunschweigs Klerikalbetrieb nutzt den Fall des Domkantors, um ihr ramponiertes Image zu pflegen: Man würde gern als moralische Instanz gelten.

Blick durch einen Maschendraht auf den Braunschweiger Dom

Der Braunschweiger Dom: Christlich ist man hier im Hauptberuf

Nun habt doch Verständnis für die Braunschweigische Kirche! Wie soll sie denn anders verfahren, als den lang gedienten Domkantor Gerd-Peter Münden zu verleumden und nach über 20 Dienstjahren Knall auf Fall aus dem Amt zu entfernen, weil er und sein Mann gern ein Kind hätten?

Weil auch sie wie andere Christengemeinschaften die Abgründe klerikalen Kindesmissbrauchs nicht mehr vertuschen kann, muss sie sich an anderer Stelle entschieden positionieren. Wie könnte sie sonst noch jemanden glauben machen, sie wäre eine moralische Instanz und könnte sagen, was gut ist und was bös? Auch wenn sie das nie war, diese Erwartung, dass sie diese Funktion erfüllen könnte, gibt es an die Institution Kirche.

Und dafür wiederum, die zu erfüllen ist der Fall bestens geeignet: Krosse Ansagen zu biopolitischen Themen wecken zuverlässig Aufmerksamkeit. Gepaart mit drakonischen Maßnahmen gegen eine Person, die man auf diesem Feld als abseitig markiert, entfalten sie gemeinschaftsstiftende Wirkung, und laut dem Kirchenvater Laktanz ist ja das genau die Bedeutung des Wortes Religion.

Denn ja doch, es verbindet total, jemanden gemeinsam aus dem Dorf zu treiben, weil er … Ja, was eigentlich? Na, weil er sündige Gedanken hatte! Denn nein, Münden und sein Mann haben keine Leihmutter beauftragt. Sie haben es in Erwägung gezogen und sich dafür mit Leuten unterhalten, denen sie offenbar zu Unrecht vertraut hatten.

Warum keine Plakatkampagne?

Das Paar hätte zur Erfüllung seines Kinderwunschs auch nicht die Notlage einer Unbekannten ausgenützt. Die Idee wäre gewesen, das Angebot einer gemeinsamen Freundin wahrzunehmen.

„Sünde!“, urteilen die Braunschweiger Berufschristen. Sie bezichtigen den für seine menschennahe, mitreißende Arbeit bekannten Kantor per Rundmail, „Frauen und Kinder zu Waren“ zu degradieren: Gegangen ist sie an 600 Adressat*innen. Na, da hätten sie auch gleich noch eine Plakatkampagne machen können.

Jesus, Maria und Josef! Man muss nicht daran erinnern, dass im Gründungsmythos des Christentums das Modell Leihmutterschaft verankert ist, um zu bemerken: Hier wird ein Dogma durchgesetzt. Der Einzelfall, die Menschen – sie interessieren nicht. Die Beziehungen zu ihnen sind rein professionell.

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Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.

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