Jan-Paul Koopmann
Popmusik und Eigensinn
: Eine gegen alle

Foto: privat

Über die Musik müsste man eigentlich schreiben – klar – und nicht über das verbale Erbrechen der Boulevardpresse: Maite Kelly hat abgenommen, Maite Kelly ist wieder dick, Maite Kelly hat sich getrennt, Maite Kelly hat Streit mit ihren Brüdern. Dass sie vom Musikmachen etwas versteht, müsste man vielmehr schreiben und höchstens beiläufig fallen lassen, dass dieser Drumrumdiskurs schlichtweg nicht zu ertragen ist. Aber so einfach ist es eben nicht.

Denn erstens ist diese Musik, die Maite Kelly macht, nicht nur handwerklich solide, sondern leider auch ausgesprochen schrecklich. „Das neue Referenzalbum im Schlager“ hat man ihre Platte (ich glaube, es war die vorletzte) genannt. Und so verdienstvoll das tatsächlich auch ist, so eng steckt das berechtigte Urteil eben auch enge Grenzen des Sagbaren. Was schert mich denn, was prägend für den Schlager ist? Musikalisch jedenfalls nichts. Und für die Erforschung kleinbürgerlicher Ideen vom Glück, für den der Schlager ja wirklich die zentrale Quelle ist, ist Maite Kelly dann auch wieder nicht die richtige.

Außerdem ist das mit ihrer Familie ja auch wirklich spannend. Gemeint ist nicht ihre neue, die uns alle nichts angeht, sondern ihre alte, für die sie nichts kann. Die Kelly Familiy war ja wirklich ein Phänomen: Lauter so handwerklich versierte Musiker*innen, die in den auf Stampfbeats und Krawallgitarren versessenen 90ern eine hippieeske Folkklamotte aufgeführt haben – und damit auch noch unfassbaren Erfolg hatten. Von Bravo bis Bunte stand die Welt Kopf, die Fans pilgerten zu den Konzerten und ignorierten hartnäckig den brutalen Spott der Restwelt. „Alarm, Alarm, auf Stufe Rot / Der Rhein verseucht, die Kellys tot“, sang etwa die Terrorgruppe.

Lustig war sie nicht, die beängstigende Einigkeit von trendbewussten Mainstream-Knechten mit ihrem Hass auf Konsumverzicht und lange Haare, der mindestens angereichert war mit antiziganistischen Stereotypen – und eben den Progressiven, die ihrerseits ungehemmt auf Kitsch und Folk abhassten. Dass dagegen der von den Kellys inszenierte Familienzusammenhalt heute umgeschlagen ist in wüste Vorwürfe von Verrat und Missgunst, ist mindestens tragisch. Und darum ist es ja auch so schön, dass Maite Kelly heute allein die ÖVB-Arena vollmacht und diese Referenzalben raushaut: schön und viel wichtiger als Musik.

Mi, 3. 4., 20 Uhr, ÖVB-Arena