Radfahrt ins Ungewisse

Nach den Alpen ist vor den Pyrenäen: Bei den besten 4 im Klassement der Tour de France stellen sich Fragen zur Leistungsfähigkeit in Woche 3

Es ist fast alles gelb. Primoz Roglic (Mitte) musste inzwischen jedoch die Trikotfarbe wechseln Foto: dpa

Aus Carcassonne Tom Mustroph

Die Tour de France geht in ihre dritte Woche. Und niemals waren die Fragezeichen so groß wie in diesem Jahr. Das Terrain ist bekannt: Es warten drei Pyrenäenetappen mit jeweils drei Anstiegen, darunter stehen legendäre Gipfel wie der Col de Tourmalet und der Col d’Aubisque an. Auch der Col de Peyragudes, bei dem Chris Froome im letzten Jahr schwächelte, ist wieder im Programm. „Ich hatte keinen Sprit mehr“, meinte der Brite da.

Aber auf Berge kann man sich vorbereiten. Und aus früheren Schwächen kann man lernen. Ungewiss bleibt, wie Froome und sein Teamkollege, der Mann in Gelb, Geraint Thomas, in der dritten Woche drauf sind. Ungewiss ist auch, was ihre zuletzt härtesten Gegner Tom Dumoulin und Primoz Roglic noch leisten können.

„Wir wissen es selbst nicht“, sagt Nicolas Portal und zieht die Schultern hoch. „Geraint ist zum ersten Mal in dieser Position in einer dritten Woche einer Grand Tour. Froome hat das erste Mal den Giro in den Beinen. Wir sind, was die geplante Formkurve und die bisherigen Daten angeht, zuversichtlich. Wir wissen es aber wirklich nicht“, erklärt der sportliche Leiter von Team Sky.

Ähnliche Mienen wie die von Portal findet man bei den Herausforderern. „Wir sind mit Tom nach dem Giro zur Tour gekommen, weil wir ein Experiment anstellen wollen. Wir wollen Daten sammeln für die nächste Tour, wenn der Fokus komplett darauf liegt. Der Giro, den Tom gefahren ist, ist keine optimale Vorbereitung auf die Tour“, erklärt Iwan Spekenbrink, Rennstallchef von Sunweb.

Was für Dumoulin, den Giro-Zweiten dieses Jahres, gilt, gilt auch für den Giro-Sieger Froome. „Ja, beide stecken da in der gleichen Situation“, bestätigt Portal.

Bei LottoNL Jumbo ist Frans Maassen die Ungewissheit ins Gesicht geschrieben. „Primoz Roglic ist ein toller Rennfahrer. Er hat sich super entwickelt in den letzten Jahren. Aber wie er auf den Druck in der letzten Woche reagiert – das ist für uns Neuland“, meinte der sportliche Leiter des Gesamt-Vierten zur taz.

Roglic hat seine letzten Rundfahrten – im Gegensatz zu Thomas – beendet. Sein Körper weiß, wie sich eine letzte Woche anfühlt. Der Slowene fuhr den Giro 2016 und die Tour 2017 zu Ende. Dabei war er aber weit entfernt von den Top-10-Positionen. Der frühere Skispringer sollte sich ausprobieren. Erst als 21-Jähriger wechselte der Juniorenweltmeister im Skifliegen von den Brettern auf die rotierenden Pneus. Bei seinen beiden ersten Rundfahrten gewann er gleich jeweils eine Etappe: ein Einzelzeitfahren beim Giro und die Etappe zum Galibier bei der Tour 2017. Das zeigt: Er kann klettern und er ist exzellent im Zeitfahren. Er wurde 2017 Vizeweltmeister in dieser Disziplin, unmittelbar hinter Tom Dumoulin und noch vor Chris Froome. „Der größte Vorteil, den Primoz hat, sind tatsächlich seine Zeitfahrqualitäten“, schätzt Maassen ein. „Sein Pech ist nur, die, die vor ihm sind, sind dort ebenfalls sehr gut.“ Und man weiß eben nicht, wie gut Roglic in einer dritten Woche ist. Bei seiner erst dritten Grand Tour ist der mittlerweile 28-jährige Slowene zum ersten Mal als Kapitän dabei und das erste Mal mit reellen Podiumchancen vor den letzten Bergetappen.

„Primoz Roglic ist ein toller Rennfahrer. Aber wie er auf Druck reagiert – das ist Neuland“

Frans Maassen, Team LottoNL Jumbo

Ähnliches gilt für Geraint Thomas. Zwar fuhr der Gesamt-Führende in der Vergangenheit schon die eine oder andere Grand Tour zu Ende. Noch nie jedoch fuhr er selbst auf Klassement, rollte bestenfalls als bester Helfer Froomes mit in die Top 20. Als er beim Giro 2017 erstmals als Kapitän aufgeboten war, stieg er nach einem Sturz aus. Aufgabe auch bei der Tour 2017, als für ihn die Co-Kapitänsrolle neben Froome reserviert war.

Diese Ungewissheiten bei den wichtigsten Protagonisten machen das Rennen in den kommenden Tagen – nach dem Ruhetag Montag – reizvoll. Weniger reizvoll ist, dass sich die alten Probleme erneut stellen: In den Alpen war Team Sky mit zwei Etappensiegen durch Thomas das dominierenden Team. Wie ist diese Übermacht in den Pyrenäen zu brechen? „Wir müssen noch einmal so etwas versuchen, was Steven Kruijswijk in l’Alpe-d’Huez machte. Nicht auf den letzten Berg warten, sondern viel früher attackieren. Das Risiko aber ist, das man dabei seinen guten Gesamtplatz verlieren kann“, meint Maassen. Mit Kruijswijk als 7. und Roglic als 4. hat er immerhin zwei Trümpfe in der Hand.

Sky hat vorgesorgt. „Wir haben Woet Poels in den ersten beiden Wochen etwas zurückgehalten. Er soll in der dritten Woche vorn mit dabei sein, wenn unsere anderen Helfer etwas müder werden“, verriet Portal der taz ein kleines Detail. Ex-Skispringer Roglic braucht also einen langen Anlauf.