Affäre um Berliner Bezirksbürgermeister: Neun Mal Daumen runter

Im Bezirksparlament Mitte hinterfragt nur die AfD den Rauswurf von Rathauschef von Dassel (Grüne). Seine Abwahl in zwei Wochen gilt damit als sicher.

Das Foto zeigt den Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel.

BERLIN taz | Man kann sich seine Unterstützer nicht immer aussuchen. Der Mann, der am Debattenende am Donnerstabend im Bezirksparlament von Mitte ans Mikro tritt, warnt vor einer vorschnellen Abwahl von Bürgermeister Stephan von Dassel: Das zu tun, bevor das offizielle Disziplinarverfahren abgeschlossen ist, könne im öffentlichen Ansehen schädlicher sein, als das kritisierte Handeln von Dassels.

So ähnlich hatte sich jüngst auch der Grünen-Kreisvorstand geäußert und damit das Vorgehen der eigenen Fraktion kritisiert. Im Sitzungssaal des Rathauses aber kommen die Worte am Donnerstagabend vom AfD-Vertreter Kai Borrmann.

Vor ihm ist bildlich gesprochen in neun Redebeiträgen der Daumen neun Mal nach unten gegangen. Für den Bürgermeister spricht keiner. Vertreter von CDU, FDP, SPD, Grünen und Linkspartei kündigen an, die von CDU und FDP beantragte Abwahl zu unterstützen. Das passiert allerdings noch nicht an diesem Abend: Die Geschäftsordnung sieht dafür zwei Sitzungen vor. Die Abwahl eines Bezirksbürgermeisters gilt als ein Novum, ein anderer Fall dieser Art in Berlin ist nicht bekannt.

Fast einhellig führen die Kritiker fraktionsübergreifend zerstörtes Vertrauen in die Arbeit des Bürgermeisters an. Tenor: Sie alle hätten sich an Regeln zu halten, auch wenn das manchmal misslich sei, und für den Bürgermeister als exponiertesten politischen Vertreter des Bezirks würde das am meisten gelten. Bei den beiden Reden der Linksfraktion wird es dann noch ein bisschen heftiger – eine Rednerin war von den Grünen dorthin gewechselt, offenbar auch wegen von Dassel.

Der grüne Bürgermeister selbst, seit 2016 im Amt und in Teilen seiner Partei schon länger in der Kritik, hat als Erster zu den Vorwürfen gegen ihn gesprochen. Er hatte im Frühjahr nach einem Auswahlverfahren für eine wichtige Leitungsstelle den unterlegenen Bewerber dazu bringen wollen, nicht gegen diese Auswahl zu klagen. Das hätte – wie von Dassel mit einem anderen Fall belegt – mutmaßlich für eine mehrjährige Vakanz auf dem zentralen Posten im Bezirksamt gesorgt.

Sein Vorgehen bestreitet von Dassel nicht, wohl aber, dass er dem Mann für seinen Rückzug Geld aus seiner eigenen Tasche geboten haben soll. Entsprechende Behauptungen lässt er inzwischen von einem prominenten Medienanwalt verfolgen.

Von Dassel hatte dem Mann Anfang April eine SMS geschickt, die sich durchaus in dem Sinne verstehen lässt, dass er aus eigener Tasche zahlen wollte, auch wenn die Nachricht keinen Betrag nennt oder von Geld spricht. Ihn offiziell mit drei Monatsgehältern aus dem Bezirkshaushalt abzufinden, war aus Sicht der Rechtsexperten im Rathaus nicht möglich gewesen. Der Versuch einer Einigung mit dem unterlegenen Bewerber an und für sich sei „nicht Standard, aber auch nicht unüblich, auch nicht im Land Berlin“, sagt er.

Die SMS selbst nennt von Dassel „in höchstem Maße missverständlich“ und eine „Dummheit“. Niemals hätte sie von einem Bezirksbürgermeister kommuniziert werden dürfen. Er habe damit das Vertrauen in seine Person und in das Amt des Bezirksbürgermeisters gefährdet und dem Ansehen der grünen Partei geschadet, was er bedaure. Warum er sich so missverständlich ausdrückte, „das ist mir selbst nach wie vor nicht klar“. Er könne aber wirklich mit ganz reinem Gewissen sagen, dass „ich nur das Beste für den Bezirk und das Land Berlin wollte und will“.

Zurücktreten, wie an diesem Abend erneut verlangt, mag er nicht. Das würde aus seiner Sicht Vorwürfe bestätigen, „die so nicht wahr sind“. Entscheidend ist für ihn das vorletzte Woche angelaufene Disziplinarverfahren gegen ihn, das in der Senatskanzlei geführt wird. „Bevor dieses Ergebnis vorliegt, kann ich die von vielen von Ihnen geforderten politischen Konsequenzen für mich nicht ziehen.“ Interessant ist in dem Zusammenhang allerdings, dass von Dassel im Falle eines Rücktritts kein Ruhegehalt oder sonstige Versorgungsbezüge zustehen würden. Bei einer Abwahl wäre das anders.

„Irreparable Schäden“

Das überzeugt merklich keinen von denen, die nach nach ihm ans Redepult treten. Konsens ist: Der Zweck könne und dürfe nicht die Mittel heiligen. Von einer „irreparablen Grenzüberschreitung“ spricht die SPD, „irreparablen Schaden“ stellt die Linkspartei fest, ein „Stoppschild“ habe er überfahren, meint die FDP. Und bei von Dassels eigener Fraktion heißt es: „Sein Verhalten widerspricht den grünen Grundwerten.“

Für die Sozialdemokraten soll entscheidend gewesen sein, dass von Dassel in einem Gespräch mit der SPD-Fraktion nicht den Eindruck erweckt habe, künftig nicht erneut „Lösungen außerhalb der Zwänge des Amtes zu suchen“. Grund, mit der Abwahl zu warten, sieht niemand außer dem AfD-Redner. „Das Disziplinarverfahren hat gar nichts mit der politischen Bewertung zu tun“, heißt es etwa von der CDU.

Verteidigende Worte kommen auch nicht von jenen Grünen, die sich frakionsintern dagegen aussprachen, von Dassel abzuwählen. Acht zu sechs bei zwei Enthaltungen und einer Nichtbeteiligung soll die nicht-öffentliche Abstimmung dort ausgegangen sein, also nur mit einer relativen Mehrheit, keiner absoluten. Der Grünen-Kreisvorstand, Vertretung der rund 2.100 Parteimitglieder im Bezirk Mitte, hält der Fraktion Berichten zufolge eine basisferne Entscheidung vor, die den Ausgang des Disziplinarverfahrens hätte abwarten müssen.

Von Dassel redet nüchtern, wie es seine Art ist

Von Dassel klingt naturgemäß nicht euphorisch, aber auch nicht bestürzt. Eher nüchtern redet er, wie es eben seine Art ist. Von dem, was in zwei Wochen an gleicher Stelle passieren wird, wenn die Abstimmung über den Antrag ansteht, hat er ein ziemlich klares Bild: „Ich ahne, dass meine Abwahl kaum zu verhindern ist.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.