Anomalien im Umfeld von Atomanlagen: Probleme der Beweisführung
Anomalien in der Nähe von Atomanlagen, wie die erhöhten Krebsraten nahe der Asse sind klar messbar. Zusammenhänge kann man aber jedes Mal kaum nachzuweisen.
BERLIN taz | Erhöhte Krebsraten rund um die Asse. Die Nachricht alarmiert, doch über die Schlussfolgerungen sind sich die Experten nicht einig. Das war schon bei der sogenannten KiKK-Studie von 2007 der Fall. Sie zeigte deutlich, dass in der Umgebung von Atomkraftwerken Kinder häufiger an Leukämie erkrankten.
Die Zahlen waren nicht strittig, aber von vielen Wissenschaftlern und auch den Behörden wurde abgestritten, dass radioaktive Strahlung die Ursache ist. Selbst als 1990/91 in der Elbmarsch südlich vom AKW Krümmel bei Kindern eine um das 50fache erhöhte Leukämierate auftrat, wurde für das AKW ein Freibrief ausgestellt.
Das Problem ist, dass epidemiologische Daten zwar Auffälligkeiten aufzeigen können, aber keine Ursachen. Dazu kommt, dass die Ereignisse, die hier bewertet werden müssen, extrem selten sind. Bei der Samtgemeinde Asse sind es jetzt im Laufe von 7 Jahren 9 zusätzliche Leukämieerkrankungen bei einer Einwohnerzahl von rund 9.500. Das viel schwierigere Problem sei aber, so Hagen Scherb vom Institut für Biomathematik und Biometrie am Helmholtz-Zentrum München, dass man immer noch an dem Dogma festhalte, eine geringe Menge an radioaktiver Strahlung sei ungefährlich.
Scherb, der schon seit vielen Jahren zu den gesundheitlichen Folgen radioaktiver Strahlung arbeitet, hatte in der Vergangenheit selbst wiederholt Schwierigkeiten, seine Forschungsarbeiten zu publizieren. Vor kurzem erst legte er zusammen mit zwei KollegInnen Ergebnisse vor, die zeigen, dass sich in der näheren Umgebung von Atomanlagen bei Neugeborenen das Geschlechterverhältnis verschoben hat. Es werden im Vergleich zum Durchschnitt weitaus mehr Jungen als Mädchen geboren. (Forschungsergebnisse als PDF-Datei)
"Die Abweichungen vom Durchschnitt sind zwar sehr gering, im Promillebereich, aber sie sind eindeutig signifikant", erklärte Scherb gegenüber der taz. Die Forscher hatten die Geburtenzahlen im Umkreis von 35 Kilometern bei insgesamt 27 Atomanlagen in Deutschland und der Schweiz ausgewertet. Fast 20.000 Mädchen wurden nicht geboren, so das Resümee der Forscher.
Das klingt zwar nach sehr viel, berücksichtigt werden muss aber, das hier insgesamt fast 5 Millionen Geburten ausgewertet wurden. "Das zeigt uns aber trotzdem, dass hier was ist", so Scherb. Für ihn kommt als Ursache nur die freigesetzte Radioaktivität in Frage.
Einen ähnlichen Effekt hat Scherb auch als Folge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 aufgezeigt. Mit dem Fallout in Europa veränderten sich auch die Geschlechterverhältnisse bei Neugeborenen.
Leser*innenkommentare
OPS
Gast
Es ist nicht die Strahlung (die wird durchgehend gemessen) und es ist nicht das Trinkwasser (das wird durchgehend untersucht).
Was ist es denn dann?
Eine Art Atommüll-Placebo-Effekt?
Lungenkrebs ist bei Rauchern um den Faktor 1000 oder so wahrscheinlicher als bei Nichtrauchern. Wer verbietet das Rauchen?
In dem Gebiet sterben jedes Jahr mehr Menschen im Straßenverkehr als durch Leukämie. Vielfach mehr. Wer verbietet den Straßenverkehr?
Man wird schnell feststellen, dass es bei einer so seltenen Erkrankung überall in Deutschland Ausreißer gibt. Nach unten wie nach oben.
Wenn man in einem Landkreis feststellt, dass durch einen statistischen Zufall nur 2, statt 5,2 (bundesdurchschnitt) von einer Millionen Männern Leukämie hat, wird man diese Region dann für "besonders gesund" erklären?
Es gibt Gebiete in Deutschland die sind weit ab von Kernkraftwerken wo Leukämieraten unerklärlich höher liegen als im Landesdurchschnitt. Woran liegt es da? Man wird schon was finden: Vielleicht ist es der Stress durch Windkraftanlagen, oder Elektrosmog, oder Pestizide- sucht euch aus was euch persönlich Angst machen.
Und wo sind Leukämieraten am höchsten in Deutschland? In Landkreisen wo es Krebskliniken gibt. Heißt das, dass Krebskliniken die Chance auf Leukämieerkrankungen erhöhen?
Das ist alles lächerliche Panikmache von Kernkraftgegnern. Es gibt keine sachlichen Argumente, also sucht man nach statistischen Besonderheiten und schlachtet diese aus.
Erbärmlich.
Karl
Gast
@ Redaktion
Stochastische Betrachtungen sind zähl- aber nicht messbar!
Natürlich ist es immer fragwürdig ohne Kausalzusammenhang hier mit "Ursache" zu argumentieren. Zudem sind leider die lokalen Hintergrundbelastungen, mit allem was die industriegesellschaft sonst so zu bieten hat, unbekannt.
Um eine bestehende konkrete Gefahr für wesentliche Schutzgüter durch Emisssionen aus der Asse nachzuweisen wäre erheblicher analytischer Aufwand nötig.
Denn solange unklar ist welche Expositionpfade wirken und was genau die Zielsubstanzen einer anzusetzenden Untersuchung sein können, muß der Naturwissenschaftler zur Vorsicht raten; leichtferige Zuweisungen welche sich nicht messtechnisch beweisen lassen spielen nur der Atomindustrie in die Hand!
Glück auf!
Karl
Jens M.
Gast
genau.... und wenn St. Pauli wieder in die zweite Liga absteigt, ist die "böse" Atomkraft auch schuld!