Russische Abspalter in Moldau: Was gerade in Transnistrien vorgeht

Die Machthaber der Separatistenregion rufen nach Putin. Heizt das den eingefrorenen Konflikt im Osten Moldaus an? Antworten auf die 8 wichtigsten Fragen.

Eine Lenin-Statue steht vor dem Parlamentsgebäude in Tiraspol im Separatistengebiet Transnistrien.

Parlamentsgebäude in Tiraspol – und Lenin mit Cape Foto: Hannah Wagner/dpa

Transnistrien ist wieder in den Schlagzeilen. Was ist passiert?

Die pro-russischen Machthaber Transnistriens haben Moskau am Mittwoch auf einem Sonderkongress um „Schutz“ gegen die Republik Moldau gebeten. Der Kreml solle Maßnahmen ergreifen, um Transnistrien gegen Moldau zu verteidigen. Die Regierung in der moldauischen Hauptstadt Chișinău habe einen „Wirtschaftskrieg“ begonnen. Um welche Maßnahmen es gehen könnte, bleibt unklar.

Was ist Transnistrien überhaupt?

Transnistrien ist ein etwa 200 Kilometer langer Streifen im Osten der Republik Moldau, der eine Grenze zur Ukraine, nicht aber zu Russland hat. Hier leben knapp 350.000 Menschen; Moldauer*innen, Rus­s*in­nen und Ukrai­ne­r*in­nen stellen die größten Bevölkerungsgruppen. 220.000 Personen haben auch russische Pässe.

Im Fall Transnistriens spricht man von einem eingefrorenen Konflikt. Wie kam es dazu?

Im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre zeigten sich erste Absetzbewegungen Transnistriens von Moldau, die Region erklärte sich für unabhängig. 1992 brach ein Bürgerkrieg aus, rund 1.000 Menschen wurden getötet. Beendet wurden die Kampfhandlungen durch ein Eingreifen der 14. russischen Armee. Im Juli 1992 wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Chișinău verlor faktisch die Kontrolle über die Region. Seit dieser Zeit gilt der Konflikt als eingefroren. Verhandlungen (zum Beispiel „5+2“, beteiligt waren Moldau, Transnistrien, die OSZE, Russland, die Ukraine, die USA und die EU) blieben ergebnislos.

Wie ist der Status quo Transnistriens?

Kein Land hat die Unabhängigkeit Transnistriens anerkannt, völkerrechtlich gehört die Region zur Republik Moldau. Entgegen anders lautenden Zusagen ist russisches Militär in Transnistrien präsent – 1.500 bis 2.000 sogenannte Friedenssoldaten sind dort stationiert. Im Dorf Cobasna befindet sich ein großes Munitionsdepot. Hier sollen noch bis zu 20.000 Tonnen Munition aus Sowjetzeiten lagern. Wirtschaftlich hängt Transnistrien am Tropf Russlands. Lange galt die Region als idealer Umschlagplatz für Schmuggelgüter aller Art. „Marktführer“ in Transnistrien ist die Holding „Sheriff“. Sie besitzt unter anderem Tankstellen, Supermärkte und eine Cognac-Fabrik.

Gab es bereits Hilfsersuchen an die Adresse Russlands?

Mehrmals. 2006 initiierte der bereits erwähnte Sonderkongress die Durchführung eines Referendums. Bei dieser Volksabstimmung sollen sich angeblich 97 Prozent der Wäh­le­r*in­nen für die Unabhängigkeit Transnistriens sowie eine Vereinigung mit Russland ausgesprochen haben. Moskau gab sich bedeckt. Im März 2014, kurz nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim, stellte das Parlament einen Antrag auf Aufnahme in die Russische Föderation. Der Kreml schwieg, das Vorhaben wurde nicht weiter verfolgt.

Welche Interessen verfolgt Russland in Transnistrien?

Moskau betrachtet nicht nur Transnistrien, sondern auch die Republik Moldau als seine Einflusszone. Die dortige Regierung unter Staatschefin Maia Sandu, seit 2020 im Amt, ist stramm auf Westkurs. Im Juni 2022 erhielt Moldau zusammen mit der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Bislang begnügt sich Moskau mit Störfeuer, um die innenpolitische Lage in der Republik Moldau zu destabilisieren – etwa über seinen Handlanger Ilan Șor. Der Oligarch und Politiker, der wegen Betruges verurteilt ist und im israelischen Exil lebt, steckte 2023 hinter Massenprotesten gegen Moldaus pro-europäische Regierung. Im Herbst stehen Präsidentenwahlen an.

Wie wirkt sich Russlands Krieg gegen die Ukraine aus?

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Seit dessen Beginn geht in Chișinău die Angst um, nach der Ukraine ebenfalls Opfer einer russischen Invasion zu werden. Die Grenze zwischen Transnistrien und der Ukraine ist geschlossen. Seit Januar sind neue Zollregelungen zwischen der Ukraine und Transnistrien in Kraft. Für Im- und Exporte nach und aus Transnistrien wird jetzt die moldauische Mehrwertsteuer fällig. Das ist wohl auch der Hintergrund für den jüngsten Vorstoß Transnistriens, bei dem von einer „Wirtschaftsblockade“ gesprochen wird. Das Außenministerium in Moskau bezeichnete den „Schutz der Interessen der Be­woh­ne­r*in­nen Transnistriens, unserer Landsleute“ am Mittwoch als eine Priorität. Der angebliche Schutz Russischsprachiger diente 2022 als Rechtfertigung, um die Ukraine anzugreifen. Bei seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag überging Wladimir Putin die Kausa Transnistrien.

Könnte eine Eskalation in der Region drohen?

Ex­per­t*in­nen halten eine Intervention für eher unwahrscheinlich. Es gibt keine Verbindung auf dem Landweg zwischen Transnistrien und Russland. Die Schaffung eines Korridors zwischen den eroberten Gebieten im Süden der Ukraine und dem Gebiet ist unrealistisch. Das gilt auch für die Eröffnung einer zweiten Front durch transnistrische Truppen. Die, so der Analyst Ouza Nantoi, dienten wegen des Geldes und nicht, um für Putin zu sterben.

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