Taser für Schleswig-Holsteins Polizei: Düstere Aussichten

Elektroschocker als Polizei-Waffe sind gefährlich. Besonders schlecht ist die Idee, Taser ausgerechnet in Kiels Drogen-Stadtteil Gaarden einzusetzen.

Ein Taser in den Händen eines Polizeibeamten.

Ein Elektroschock durch Pfeile, die an Drähten hängen: Taser in den Händen eines Polizeibeamten Foto: dpa | Axel Heimken

Schleswig-Holstein will endlich auch mitmachen: In diesem Jahr sollen in Kiel die ersten Po­li­zis­t:in­nen mit sogenannten Tasern bewaffnet auf Pa­trouille gehen. Mit den „Distanzelektroimpulsgeräten“ (DEIG), wie die Polizei die Taser nennt, werde „eine Lücke zwischen Schlagstock und Schusswaffe“ geschlossen, frohlockte kürzlich eine Sprecherin der Polizeidirektion Kiel.

Doch Freude über diese Einführung ist doppelt fehl am Platz: Elektroschocks sind, erstens, für niemanden ungefährlich. Sogar tödlich können sie für Drogenkonsumierende sein. Drum ist es, zweitens, eine besonders schlechte Idee, dass die Elektroschocker ausgerechnet im Stadtteil Kiel-Gaarden eingeführt werden sollen, wo es seit Jahren eine große offene Drogenszene gibt.

Dass Schleswig-Holstein jetzt auch tasern will, ist sonderlich überraschend allerdings nicht. Das Land folgt mit der Entscheidung einem bundesweiten Trend. Seit Rheinland-Pfalz 2018 den Anfang gemacht hatte, hat Bundesland um Bundesland sukzessive DEIGs für die Streifenpolizei eingeführt. Nur in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt sind die Waffen weiterhin ausschließlich Sondereinsatzkommandos vorbehalten.

Nun soll in Schleswig-Holsteins also Gaarden den Anfang machen. Der ehemalige Ar­bei­te­r*in­nen­stadt­teil Gaarden ist das Viertel mit der höchsten Armutsquote in Kiel. Hier konsumieren viele Menschen im öffentlichen Raum illegalisierte Drogen. In den letzten zwei Jahren hat sich die Situation auf den Straßen von Gaarden durch die Droge Crack und die zunehmende Wohnungsnot verschlimmert. Das berichten einhellig So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen und Menschen aus der Drogenhilfe in Kiel.

Tödlich können Taser-Einsätze besonders bei Drogenabhängigen enden

Crack macht schnell süchtig, wirkt kurz und stark und ist billig. Konsumierende sind schnell körperlich richtig runter, Schlafentzug macht nicht wenige auch psychisch instabil. Zusammen mit dem Wohnungsmangel und der steigenden Obdach- und Wohnungslosigkeit, den man in Kiel wie in den meisten Großstädten in Deutschland erlebt, bedeutet das: mehr Menschen in psychischen und physischen Ausnahmesituationen im öffentlichen Raum.

In dieser Gemengelage will das Land nun also Elektroschocker einsetzen. Die Be­am­t*in­nen vom Polizeirevier Gaarden werden Personen aus bis zu fünf Metern Entfernung beschießen, mit Drähten mit kleinen Pfeilen daran, die bis zu einem Zentimeter tief in Haut oder Kleidung eindringen und Strom leiten. Wer einen solchen Schuss abbekommt, ist durch einen rund fünf Sekunden dauernden schmerzhaften Krampf erst mal ausgeknockt.

Das klingt nicht nur gefährlich, sondern ist es auch. Zwar werden Be­für­wor­te­r*in­nen der DEIGs nicht müde, die deeskalierende Wirkung der Geräte (beziehungsweise ihres bloßen Anblicks) zu betonen. Fakt ist aber auch, dass ein Taser-Schuss für herzkranke oder unter Drogen stehende Menschen lebensbedrohlich sein kann. Das belegt etwa eine umfassende Recherche der Nachrichtenagentur Reuters zu Todesfällen nach Taser-Einsätzen in den USA.

In Deutschland sind seit der Ausweitung der Nutzungsbefugnis im Jahr 2018 neun Menschen nach Taser-Schüssen gestorben. Erst am vergangenen Wochenende starb ein 26-jähriger Mann in Mühlheim an der Ruhr, nachdem er im Rahmen eines Polizeieinsatzes einen Taser-Schuss abbekommen hat. Auch er soll nach ersten Obduktionsergebnissen unter Drogeneinfluss gestanden haben.

Im Innenministerium von Schleswig-Holstein betont man, Ziel der Taser sei vor allem der Drogenhandel der organisierten Kriminalität. „Betäubungsmittelkonsum ist nicht der Grund für einen DEIG-Einsatz, aber für sich alleine auch kein Ausschlusskriterium“ sagt die zuständige Innenstaatsekretärin.

Für die Menschen in Kiel-Gaarden sind das düstere Aussichten. Die Polizei bekommt zwar wie gewünscht endlich was in die Hand für die „Lücke zwischen Schlagstock und Schusswaffe“. Doch eine potentiell tödliche Waffe ist nie ein guter Lückenfüller.

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