Auftakt im Prozess wegen tödlicher Polizeischüsse

Der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé wurde im August 2022 von Polizisten in Dortmund erschossen. Nun hat das Verfahren gegen fünf Be­am­t:in­nen begonnen

Großer Andrang im Landgericht Dortmund: William Dountio vom Solidaritätskreis „Justice4Mouhamed“ steht kurz vor Beginn im Zuschauer­bereich Foto: Fo­to:­ Rolf Vennenbernd/dpa

Aus Dortmund David Bieber

Im lang erwarteten Prozess gegen fünf Dortmunder Po­li­zis­t:in­nen ist am Dienstagnachmittag vor dem Landgericht Dortmund die Anklageschrift im Fall Mouhamed Lamine Dramé verlesen worden. Der 16 Jahre alte Geflüchtete aus dem Senegal war am 8. August 2022 bei einem ­Polizeieinsatz in Dortmund erschossen worden.

Die Be­am­t:in­nen waren zu einer Jugendhilfeeinrichtung in der Nordstadt gerufen worden, weil Mouhamed sich ein Messer vor den Bauch gehalten hatte. Die Po­li­zis­t:in­nen sollen versucht haben, mit dem Jungen, der sich offenkundig in einer psychischen Ausnahmesituation befand, zu sprechen – ohne Erfolg. Als Mouhamed mit dem Messer in der Hand auf die Beamten zuging, setzten sie Pfefferspray und Taser ein. Quasi gleichzeitig feuerte ein Polizist sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole ab. Fünf trafen den Jungen und verletzten ihn tödlich.

Das öffentliche Interesse an dem Prozess ist groß. Vor dem Haupteingang des Landgerichts halten Aktivisten am Dienstag eine Mahn­wache ab und zeigen dabei Plakate mit dem Konterfei von Mouhamed Dramé. Im Schwurgerichtssaal ist an diesem ersten der elf angesetzten Verhandlungstermine jeder Platz besetzt. Der Hauptangeklagte Fabian S. und seine vier Kol­le­g:in­nen werden über den Keller in ein Nebenzimmer geführt. Als der Prozess startet, decken sie ihr Gesicht mit einer Aktenmappe ab.

Der Fall wirft grundsätzliche Fragen über Polizeieinsätze gegen Personen auf, die sich in akuten psychischen Krisen befinden. Zudem schwingt die Frage mit, ob auch auf einen weißen Jugendlichen geschossen worden wäre. Der Verteidiger von Fabian S. war so auch gleich zu Beginn bemüht, klarzustellen, dass die Hautfarbe während des Einsatzes keine Rolle gespielt habe.

Die Staatsanwaltschaft wiederum findet in der Anklageschrift deutliche Worte: Eine Notwehrsituation, die die letztlich tödliche Intervention hätte rechtfertigen können, sehen die Ermittler nicht. Auch den Einsatz von Pfefferspray sowie von Tasern bewerten die Ermittler als unverhältnismäßig.

Auf die Notwehrsituation wird aber der junge Polizist S. plädieren. Sollte er wegen Totschlags verurteilt werden, drohen im zwischen 5 und 15 Jahren Haft. Damit würde er aus dem Beamtenverhältnis entfernt.

Zwei seiner Kolleginnen und ein Kollege sind wegen ge­fährlicher Körperverletzung im Amt angeklagt worden. Ihnen wird in einem Fall der „ungerechtfertigte Einsatz von Pfefferspray und in zwei weiteren Fällen der ungerechtfertigte Einsatz von Distanz­elektroimpulsgeräten“ – also Tasern – zur Last gelegt. Ihrem Dienstgruppenleiter wird vorgeworfen, sie zu diesen gefährlichen Körperverletzungen im Amt angestiftet zu haben. Ihnen droht je nach ­Strafmaß eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren. Sollte ihr Fall als minderschwer beurteilt werden, könnten Geldstrafen verhängt werden.

Für die Familie des getöteten Mouhamed Dramé gehe es nun um „Aufklärung und Gerech­tigkeit“, erklärte Lisa Grüter, die die Angehörigen in der Nebenklage im Prozess vertritt. „Sie wollen wissen, warum die Polizei ein Kind in einer Not­situation ­tötet“, sagte sie im Vorfeld im WDR.

Anwaltlich vertreten werden der Vater und Bruder des Verstorbenen außerdem vom Polizeiwissenschaftler und Straf­verteidiger Thomas Feltes, der sich als Kriminologe immer wieder kritisch mit Polizeigewalt auseinandergesetzt hat. Vor ­Prozessbeginn forderte er größere Sensibilität und andere Einsatzkonzepte für den Umgang mit psychisch Erkrankten: „Wir brauchen mehr räumliche Distanz zwischen Polizei und Betroffenen in solchen Ausnahmesituationen sowie mehr Zeit zur Deeskalation“, sagte er der taz.

Mouhamed Dramés Familie möchte im kommenden Jahr regelmäßig an dem Prozess teilnehmen. Ein Solidaritätskreis kümmert sich derweil um ein Visum der Familie und um die Finanzierung der Reisekosten. „Dabei ist die Familie auf Spenden angewiesen“, heißt es von der Initiative.