Die Wahrheit: Kurt Halbritter lebt!

Tausendjähriges Reich im Bild: Gallenbitteres aus großer Zeit. Zur Neuveröffentlichung des gezeichneten Klassikers „Adolf Hitlers Mein Kampf“.

Illustration: Kurt Halbritter

Eine gute Nachricht: Kurt Halbritters Klassiker „Adolf Hitlers Mein Kampf“ ist wiederaufgelegt worden (Berlin, Bärmeier & Nikel 2023, 238 Seiten, 24 Euro). Bei der Erstveröffentlichung dieses Werks im Herbst 1968 war die Bundesrepublik noch fest in der Hand alter Nazis, die irgendwie die Kurve gekriegt hatten.

In Halbritters Zeichnungen hätten sie sich wiedererkennen können. Finsteren Zitaten aus „Mein Kampf“ stellte er in seinem Buch erhellende Skizzen aus dem Alltagsleben der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft gegenüber, vom schmissigen Beginn bis zum Untergang in Ruinen, Luftschutzkellern und Panzergräben. Staatsaktionen kommen dabei nicht vor.

Was Halbritter vorführt, ist das scheinbar Nebensächliche, das sich in öffentlichen und halböffentlichen Räumen abgespielt hat: Treppenhäuser, Hinterhöfe, Kaufmannsläden, Klassenräume, Kirchen, Konzertsäle, Zugabteile und Wirtshäuser bilden die Szenerie, in der die Volksgenossen beweisen, was in ihnen steckt. Man sieht Mitläufer, die giftige Bemerkungen fallen lassen („Heil Hitler, Herr Breitenberger, wann hängen Sie denn Ihre Fahne heraus?“), scheelsüchtige Denunzianten („Erzählen Sie Ihre Witze ruhig lauter, Frau Potschinsky, damit man auch was hört!“), Opportunisten, die sich frohgemut sagen, dass man ein wenig „mit den Wölfen heulen“ müsse.

Zu sehen sind die Volksgenossen auch in ihren Schlafzimmern, Stuben und Küchen, in denen sie sich die große neue Zeit schönzureden versuchen, wenn sie nicht gerade bestürzt feststellen müssen, dass ihre Ahnentafel nicht völlig hasenrein ist: Eine Zeichnung zeigt einen Mann mit Hakenkreuzbinde, der verzweifelt vor einer Urkunde mit seinem Stammbaum sitzt, dieweil die Frau des Hauses in ein Taschentuch schluchzt und die Tochter der beiden tiefbeschämt zu Boden schaut. Im Hintergrund vervollständigen ein Führerbild und ein eckiges Ofenrohr die Kulisse.

Aroma des Reichs

Die Zeichnungen sind so realistisch, dass ihnen förmlich das dazugehörige Aroma aus Rasierwasser, Achselschweiß und Sauerkohl entströmt. Weder in der deutschen Nachkriegsliteratur noch im deutschen Nachkriegsfilm war bis dahin eine angejahrte Ehefrau aufgetreten, die wohlwollend den neuen NSDAP-Mitgliedsausweis ihres Mannes betrachtet, während der sich vor dem Spiegel die Krawatte bindet und sagt: „Und da habe ich mir gedacht, warum sollen ausgerechnet wir gegen den Strom schwimmen?“

Halbritter, Jahrgang 1924, hat die gesamte Nazizeit erlebt und zeichnerisch aus erster Hand davon erzählen können. Und er musste niemanden karikieren: In seinen naturgetreuen Porträts sehen die meisten dieser Menschen ohnehin schon wie ihre eigene Karikatur aus. Die Zeichnungen seien „auf eine hinterhältig sanfte Weise treffend“, schrieb der Spiegel damals, und in der Zeit urteilte der Redakteur Dietrich Strothmann: „Schwarzer Humor über den braunen Alltag, diesen schrecklichen, häßlichen, haßerfüllten Alltag jener Jahre? Das Lachen vergeht einem schnell. Ein todtrauriges Buch, ein bestürzendes Buch.“

Das stimmt nicht ganz. „Adolf Hitlers Mein Kampf“ ist durchaus ein komisches Buch, auch wenn der Humor gallenbitter ist, und über die Visagen der abgebildeten Nazis hätte wahrscheinlich nur der Führer nicht lachen können.

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kari

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