Flüchtlingsdeal mit Tunesien: Schritt zur Barbarisierung

Der Deal zwischen der EU und Tunesien wird vor allem eine Folge haben: Mehr Gewalt gegen Menschen auf der Flucht und mehr Tote.

Ein Grenzschutzbeamte gibt aus einem Autofenster einer Person Wasser.

Libysche Grenzbeamte retten am 16. Juli Flüchtlinge, die von Tunesien in die Wüste getrieben wurden Foto: Mahmud Turkia/afp/getty images

Verdurstende, völlig entkräftet im Staub der Sahara: Die zuletzt verbreiteten Bilder von Menschen, die Tunesien an seiner Südgrenze in der Wüste aussetzt, sind erbarmenswert. Nicht einmal die libysche Grenzpolizei ließ sich nehmen, sich dabei fotografieren zu lassen, wie sie in Herrenmenschenpose aus heruntergelassenen Seitenfenstern ein paar Tropfen in die Kehlen elender Gestalten tropfen ließ. Brutaler lassen sich Unerwünschte kaum abwehren.

Dass die Zahl der toten Geflüchteten in der Wüste wohl jene im Mittelmeer übersteigt, nur dass die in der Wüste niemand zu zählen vermag – darauf wiesen die UN schon vor fünf Jahren hin.

Das Aussetzen von Menschen in der Wüste war lange vor allem von Algerien praktiziert worden. Nun aber hält es auch Tunesien zunehmend so: Wer in dem nordafrikanischen Land nicht bleiben soll, muss damit rechnen, in lebensgefährlicher Hitze im Nirgendwo abgeladen zu werden. Die entsprechenden Berichte häuften sich zuletzt.

Es ist kaum ein Zufall, dass das Land fast zeitgleich mit der EU enger in die Beratungen über eine intensivere Partnerschaft bei der Migrationsabwehr eingestiegen war. Präsident Saied braucht dringend Geld, um die Staatsausgaben weiter leisten zu können. Und die EU will sinkende Flüchtlingszahlen, und zwar sofort. Die extreme Rechte wird vielfach immer stärker, im Mai sind EU-Wahlen. So versprach die EU Saied nun Hunderte Millionen. Und Tunesien sicherte zu, künftig mehr zu tun, um die Grenzen dicht zu halten. Fast immer gehen solche Zusagen mit einem Schub an Brutalisierung einher. Die Barbarisierung der Türsteherstaaten ist ein Muster, das sich vielerorts beobachten ließ – so wie dieser Tage in Tunesien.

Auf Arabischen Frühling folgt langer Herbst

Keine der vielen diplomatischen Formeln, die die Vereinbarungen der EU mit ihren Partnern auf zivilisatorisch-menschenrechtliche Standards eichen sollen, verhindert, dass am Ende nackte Gewalt gegen Menschen auf der Flucht steht. Gewalt, die die Europäer seit Langem widerspruchslos hinnehmen – und dafür zahlen.

Diese Entwicklung ist auch eine weitere Niederlage des Arabischen Frühlings. Die Menschen, die 2011 den Diktator Ben Ali aus dem Amt jagten, hatten damals auch gegen die Türsteherdienste ihres Landes für Europa protestiert. Die seither vergangenen Jahre waren ein Kampf auch um die Frage, was Tunesien wichtiger ist: Geld aus der EU oder der Versuch, sich mit anderen Staaten Afrikas für ein an Menschenrechten und gemeinsamen afrikanischen Interessen orientiertes Verhältnis zu den Europäern einzusetzen. Nun hat Tunesien sich für das Geld aus Europa entschieden. Mehr Gewalt und Tote an den Grenzen werden die Folge sein.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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