Chorsingen im Berliner Schloss: Eine emotionale Ansprache

Im Humboldt Forum im Berliner Schloss durfte man sich, wo man singt, ruhig niederlassen. Schließlich ist Singen eine vertrauensbildende Maßnahme.

Menschen mit Regenschutz vor einer Bühne im Innenhof des Berliner Schlosses

Singing in the rain im Schlüterhof des Berliner Schlosses Foto: Stefanie Loos/Stiftung Humboldt Forum

Jetzt stellt man sich zur Einstimmung vielleicht vor, wie ein Kind in den Schlaf gesungen wird. Diese unmittelbare Nähe. Es ist die menschliche Stimme, die sie herstellt. Mit dem Singen als eine emotionale Ansprache, der man sich nur schwer entziehen kann.

Singen geht einen an. Ergreift einen. Rührt was im Menschen.

Und wenn man nun zu der singenden Person ein paar weitere dazu stellt, die mitsingen, hat das schon mathematisch noch mehr Wumms in der Ansprache – auch wenn das In-den-Schlaf-Singen so geballt im Chor wohl nicht mehr recht klappen wird.

Der Zufall jedenfalls wollte es, dass es eine Woche der Chöre wurde. Angefangen hatte es auf der Dachterrasse der taz, wo zum Abschied eines langjährigen Kollegen (ach, Bert …) der taz-Chor mit Hingabe ein paar abschiedswehe Lieder sang. Zwei Tage später gab es im vokalen High-End-Segment den Rias-Kammerchor in der Philharmonie mit Marienbeschwörungen zu erleben, so schmerzlich-schön mit einem toffeezarten Schmelz gesungen, dass man wenigstens ein Konzert lang unbedingt daran glauben wollte, dass der Katholizismus auch seine einnehmenden Seiten hat. Und am Wochenende wurde schließlich im Humboldt Forum im Berliner Schloss gesungen, um diesem Klotz in der Mitte Berlins, das den Touristen als Vintage-Barock verkauft wird, wenigstens etwas an menschlichem Maß abzuringen.

„Das Forum einsingen“ war das Motto, über das ganze große Humboldt Forum verteilt – in den Höfen, auf den Fluren, in den Ausstellungsräumen – waren singende Menschen zu hören.

Ein Chor in den besten Jahren

Zweitausend Chöre soll es in Berlin geben, über 300 sind im Berliner Chorverband, der die Veranstaltung mit organisiert hat, organisiert, ein knappes Dutzend präsentierte sich im Schloss.

Manche wiegten sich andächtig, möglicherweise war das bereits ironisch gebrochen

Beim Männerchor Eintracht 1892 Berlin-Mahlsdorf zeigte sich dabei, schaute man in die Gesichter der Sänger, auch gleich ein Problem des Chorgesangs: Bestenfalls zwei oder drei der Sänger durfte man den gern so genannten besten Jahren zurechnen, der große Rest zeigte sich etliche Jährchen darüber hinaus. Dem im Verein organisierten deutschen Volksliedchorgesang fehlt es also am Nachwuchs. Zuhörer hatte er durchaus. Manche wiegten sich andächtig im „Hallo im grünen Wald“ und zur „Berliner Luft“. Möglicherweise war das bereits ironisch gebrochen.

Andererseits pflegt man in Berlin aber auch die Traditionen mit einer Sorgfalt, die anderswo, wo sie mal ihren Ursprung hatten, bereits verloren gegangen ist. Man braucht die Großstadt ja schon deswegen, weil hier mittlerweile die Provinz am besten konserviert wird und sich selbst bei Minderheitenprogrammen noch genügend Gleichgesinnte treffen, die ansonsten in der Welt einsam bleiben würden. So gab es nur ein paar Treppenstufen weiter nach der Eintracht das sechsköpfige Ensemble Polýnushka mit osteuropäischen Liedern zu hören. Das Vokalensemble Sakura gab – mit Kimonos entsprechend folkloristisch eingepackt – japanische Lieder zum Besten, die in Tempo und Melodie jetzt auch nicht ganz anders klangen als die deutschen Volkslieder, die man vorher mit dem Männerchor gehört hatte.

Ihr Publikum haben an diesem Wochenende alle Chöre gefunden, mal mehr, mal weniger. Wenn man was nicht so toll fand, hörte man sich einfach weiter zum nächsten Chor (und zu gucken gibt es mit den Ausstellungen im Humboldt Forum auch genug).

Einen richtigen Run aber gab es erst am Samstagabend beim Mitsingformat Sing dela Sing. Der Hof war brechend voll, die Zugänge waren von allen Seiten mit langen Schlangen von Menschen belagert in der Hoffnung, vielleicht doch noch reinzukommen zu diesem kollektiven Karaoke. Selbst der einsetzende Regen konnte sie nicht verscheuchen. Da wurden dann halt die Schirme ausgepackt. Weiter gewartet.

Es ist eben so: Der Mensch will gar nicht mehr zuhören. Er will lieber selber machen. Selber singen für den Spaß. Nicht besungen werden.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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