Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner: „Ich will niemanden umerziehen“

Mit dem Planungsstopp hat Manja Schreiner für Wirbel gesorgt. Die CDU-Verkehrssenatorin erklärt, wie es mit der Verkehrswende weitergehen soll.

Das Bild zeigt die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner von der CDU.

Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) steht gleich zu Beginn ihrer Amtszeit in der Kritik

taz: Frau Schreiner, Ihre Kritiker nennen Ihr Vorpreschen „Radwegstopp“ – wie nennen Sie es selbst, was Sie gemacht haben?

Manja Schreiner: Eine Atempause, um mir einen Überblick verschaffen zu können – das halte ich für den richtigeren Ausdruck. Ein Stopp wäre ja erst nach der Prüfung möglich.

Manche sehen weniger eine Atempause als vielmehr das Abwürgen der Mobilitätswende.

Da täuscht der Eindruck, denn wir haben ja zum Thema Mobilitätswende unheimlich viel im Koalitionsvertrag stehen. Ich freue mich, wenn mehr Leute aufs Rad umsteigen – das ist das Beste für das Klima. Radwege werden wir selbstverständlich weiterhin bauen.

Im Dienstag im Senat beschlossenen Entwurf für das Mobilitätsgesetz ist nun aber der Abschnitt Neue Mobilität nicht mehr drin – oder bloß noch nicht?

Noch nicht. Wir werden im Herbst eine neue Diskussion über diesen Teil beginnen. Die müssen wir gründlich vorbereiten.

Aus den Bezirken heißt es, ein Radwegestopp koste viele, viele Millionen an Fördergeldern aus dem Bundeshaushalt – wie viele überschlägig?

Das ist Teil des Prüfungsprozesses, dessen Ergebnis ich nicht vorgreifen kann. Es kann im Einzelfall besser sein, Gelder für ein Projekt nicht in Anspruch zu nehmen, als ein unausgereiftes Projekt auf die Straße zu bringen. Aber so weit sind wir noch gar nicht.

Wie lange soll Ihre Überprüfung denn dauern?

Ich habe seit Dienstag alle Projekte auf dem Tisch – mehr als zwei, drei Wochen sollte es nicht dauern.

Sie wollen ein „besseres Miteinander“, ist öfter von Ihnen zu hören, auch in der aktuellen Debatte. Gerade im Verkehr meinen in Berlin ja alle, immer im Recht zu sein, und ein Mentalitätswandel lässt sich nicht einfach verordnen.

Aber es ist tatsächlich meine Maxime. Das Miteinander steht als Gebot der Rücksichtnahme ja schon in Paragraf 1 der StVO. Ich denke auch, dass sich das durch eine öffentliche Debatte beeinflussen lässt, die von der Regierung angestoßen werden kann. Es ist wichtig, dass die Menschen das immer wieder hören und das eigene Verhalten reflektieren.

In einem ersten Interview haben Sie auf die Frage, ob mehr Menschen Rad fahren sollen, nicht Ja gesagt, sondern: Das soll jeder individuell entscheiden. Ist das die Berliner Zeitenwende in Sachen der Mobilität?

Ich bejahe die Mobilitätswende absolut. Die Frage ist aber, wie man dahin kommt. Ich will keinen Einfluss auf das Verhalten des Einzelnen nehmen, also ob er nun aufs Fahrrad umsteigt oder nicht. Ich will niemanden umerziehen. Mein Ansatz ist es, vernünftige Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass immer mehr Menschen sich motiviert für ein Verkehrsangebot entscheiden können. Dazu gehören Rahmenbedingungen – etwa, dass die Berlinerinnen und Berliner sich auf Radwegen sicher fühlen.

Gleichzeitig sind Sie für den Klimaschutz zuständig, und da gab es bislang den Konsens, den Umweltverbund zu stärken und den Autoanteil zu senken.

Ja, auch das ist mein Ziel. Die Frage ist nur: Wie gestaltet man den Weg dorthin? Die Ausgangsbasis ist in Berlin gar nicht schlecht: Wir haben nur 330 Autos pro 1.000 Einwohner, und es gibt vor allem in der Innenstadt ein sehr starkes ÖPNV-Angebot. Ich möchte, dass auch die Außenbezirke noch besser angebunden sind. Auch dort müssen wir Radwege schaffen, damit die Menschen nicht das Auto nehmen müssen, um zur Bahn zu kommen. Mein Ziel ist es, die Brandenburger Pendler zu ermuntern, ihr Auto am Stadtrand auf Park-and-Ride-Parkplätzen stehen zu lassen, damit sie sich nicht in den Stau stellen müssen.

Fahrradverbände würden Ihnen jetzt widersprechen und sagen, auch in der Innenstadt sei fast noch nichts passiert.

Dem würde ich widersprechen. Wir haben in der Innenstadt schon eine sehr gute Abdeckung, sowohl beim ÖPNV als auch bei Radwegen. Natürlich werden wir auch dort prüfen, wo noch etwas fehlt und wo es gefährliche Situationen gibt. Aber wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, auch die Außenbezirke in den Fokus zu rücken.

Es gibt in Berlin einen starken Aktivismus, sei es für bessere Radinfrastruktur oder Kiezblocks. Ihre Vorgängerinnen hatten da schon ihre liebe Mühe – Ihnen dürfte ein noch schärferer Wind entgegenwehen.

Ich habe ein großes Faible für Interessenvertreter –schließlich bin ich in meiner früheren Tätigkeit selbst eine gewesen. Ich gehe von vornherein nicht davon aus, dass ich jeden zufriedenstellen werde, das ist bei fast 4 Millionen Menschen auch nicht möglich. Meine Aufgabe ist es, zuzuhören und zu sehen, wo es Schnittmengen für konstruktive Zusammenarbeit gibt.

Noch einmal zu Ihrer Haltung zum Autofahren: Sie sagen, es sei jedem überlassen, welches Verkehrsmittel er nutzt. Aber Autos belasten die Allgemeinheit mit ihren Emissionen nun mal stärker.

Es ist durchaus auch mein Ansinnen, den Autoverkehr einzuschränken. Entscheidend ist der Weg dahin. Für mich ist die Aufgabe einer Regierung ganz klar: Sie schafft Daseinsvorsorge und Infrastruktur, damit mehr Menschen den Anreiz haben, auf das Fahrrad, den ÖPNV oder das E-Auto umzusteigen. Da haben wir bei allem noch Reserven.

Beim Rauchen etwa hat der Staat eine klare Position – er verbietet es zwar nicht, macht aber sehr deutlich, dass es gefährlich ist.

Ich glaube, der Unterschied ist, dass der Verbraucher frei entscheiden kann, ob er raucht oder nicht. Beim Verkehr haben ganz viele Menschen noch nicht die nötigen Alternativen, um ihren Pendelweg anders zu bewältigen als mit dem Auto. Auch die Ladesäulen-Infrastruktur für E-Autos reicht noch nicht aus. Auch hier müssen wir die Rahmenbedingungen für einen Umstieg schaffen. Daran arbeite ich. Nur geht das natürlich nicht von einem Tag auf den anderen.

Kommt die Parkraumbewirtschaftung auch mit einer Senatorin Schreiner in der kompletten Innenstadt?

Da bin ich durchaus ein bisschen skeptisch. Ausschließen will ich es allerdings auch nicht – ich muss das einfach noch einmal fachlich bewerten und die Steuerungswirkung prüfen. Wir sollten auch hier nicht einfach mit der Schablone vorgehen.

Sie hatten ja nicht bloß das Mobilitätsgesetz gestoppt: Auch den Radverkehrsplan, der die Standards festlegt, wollen Sie noch einmal anfassen.

Es ist richtig, dass wir uns den Plan noch einmal anschauen. Wenn eine Straße breit genug ist, dass wir die 2,50 Meter für den Radweg einhalten können, halten wir daran fest. Der Bedarf muss allerdings da sein. In den Innenstadtbezirken ist das so, da haben wir ein hohes Radverkehrsaufkommen. Aber unsere Straßen sind vielgestaltig und vom Bedarf her unterschiedlich, sodass man mehr Flexibilität braucht. Es kann dann auch mal ein schmalerer Radweg sein – Hauptsache, wir kriegen einen!

Die Frage ist dann bloß: wie schmal?

Die Frage der Breite werden wir fachlich bewerten. Es kann doch nicht sein, dass sich alles gegenseitig blockiert und am Ende keine Radwege gebaut werden. Natürlich wollen wir die Parkplätze für die Anwohner möglichst erhalten, denn die Autos zaubern sich trotz Mobilitätswende nicht weg. Wo ich Parkplätze wegnehme, wird der Druck im Zweifel nur auf umliegende Kieze und Straßen verlagert.

Es kann aber auch schneller gehen, wenn es einen Standard gibt und man nicht für jede Straße neu herausfinden muss, was am besten passt.

Ja, aber als Juristin sage ich: Ein Gesetz ist ein Rahmen, der ausgestaltet wird, und damit ergibt sich, auch für die Bezirke, eine Flexibilität. Du kannst – wie gesagt – keine Schablone über die Stadt legen. Die Bezirke kennen ihren Bedarf besser und sind im Zweifel dankbar für eine Rahmensetzung, die ihnen vor Ort Spielraum gibt.

Sie haben schon zu erkennen gegeben, dass Sie U-Bahn-Fan sind und da mehr Kilometer bauen wollen. Warum nicht die Tram, die viel billiger und schneller fertig wäre?

Ich präferiere auch hier weder das eine noch das andere – es geht darum herauszufinden, was von der Bedarfslage her angemessen ist. Die U-Bahn kann ein Vielfaches der Tram an Fahrgästen aufnehmen, und wo wir große Quartiere bauen, gibt es den Bedarf dafür. Wenn unsere Vorväter nicht mit der Planung des U-Bahn-Netzes begonnen hätten, würden wir jetzt nicht von der U-Bahn profitieren. Also sollten auch wir jetzt etwas für die künftigen Generationen tun.

Und was ist mit der jetzigen Generation?

Selbstverständlich brauchen wir wegen der langen Vorlaufzeiten ergänzend auch schnellere Lösungen. Das ist die Tram, das sind Busse, das ist auch ein besserer Verkehrsfluss für Autos, am besten mit E-Motor. Es wird ein Mobilitätsmix sein, zu dem auch die Sharing-Mobility gehört.

Ihre Verwaltung hat ja schon ausgerechnet, dass drei Linienverlängerungen wirtschaftlich sinnvoll seien: die U7 in beide Richtungen und die U3. Sie sehen da noch mehr Potenzial?

Die U3 steht als Erstes an, außerdem werden wir uns die U7 genauer ansehen. Dann gibt der Koalitionsvertrag vor, auch die Verlängerung der U8 zu prüfen – für eine bessere Anbindung des Märkischen Viertels. Aber auch längerfristige Planungen, wie die Verlängerung der U2 über den Bahnhof Pankow hinaus oder die neue U10, die angesichts des Wachstums im Norden näher betrachtet werden muss.

Die CDU hat im Wahlkampf die Idee promotet, den umstrittenen 17. Bauabschnitt der A100 zur „Klimaautobahn“ zu machen. Bleibt es dabei?

Wir wollen den Verkehr aus den Kiezen heraushalten, und dazu brauchen wir leistungsfähige Trassen. Das gilt im Übrigen für alle Hauptverkehrs­straßen. Und da man heutzutage eine Autobahn auch anders planen kann als früher, ist unser Anspruch, etwas daraus zu machen: etwa, dass über dem Tunnel Grünflächen angelegt werden oder dass man groß­zügig mit Solarpaneelen arbeitet.

Noch ist ja nicht einmal klar, wie der „qualifizierte Abschluss“ des 16. Bauabschnitts aussehen soll, also wenn die A100 am Treptower Park endet.

Damit befassen wir uns jetzt, denn dieser Bauabschnitt war natürlich im Hinblick darauf konzipiert, dass es dann auch weitergeht. Der Bund ist zuständig bis zur ersten Kreuzung nach der Abfahrt, danach ist es unser Thema. Bis zur Eröffnung im kommenden Jahr werden wir ein vernünftiges, tragfähiges Verkehrskonzept entwickeln. Das ist tatsächlich etwas herausfordernd, aber da vertraue ich auf die Planer in meinem Haus.

Wie sehen Sie eigentlich das 29-Euro-Ticket? Liegt Ihnen das wirklich am Herzen, oder arbeiten Sie ’s bloß ab, weil’s die SPD im Wahlkampf versprochen hat?

Ich fühle mich an das gebunden, was wir im Koalitionsvertrag beschlossen haben. Deswegen führe ich mit Brandenburg Gespräche. Die sind nicht ganz einfach, denn das VBB-Tarifsystem ist sehr ausdifferenziert. In der Metropolregion gibt es bereits jetzt Angebote wie das 9-Euro-Sozialticket bis Ende des Jahres, das Jobticket oder das Schülerticket. Jetzt müssen wir besprechen, wie das 29-Euro-Ticket da reinpasst.

Bei der letzten Verlängerung des Tickets gab es klare Signale, dass Brandenburg dem kein weiteres Mal zustimmen würde.

Brandenburg hat als Flächenland andere Interessen als die Großstadt Berlin. Den Vertretern der 14 Landkreise geht es darum, überhaupt erst mal eine gute Anbindung zu schaffen und die Infrastruktur zu ver­bessern. Beim 29-Euro-Ticket sind sie eher zurückhaltend. Aber in jedem Fall ist klar, dass wir eine Lösung im Rahmen des Verkehrsverbunds finden müssen.

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