Michelle Yeoh bei den Oscars: Repräsentiert im Glitzershowapparat

Als Michelle Yeoh den Oscar für die beste Hauptdarstellerin gewinnt, ist unsere Autorin zu Tränen gerührt. Das liegt weniger an Yeohs Herkunft als gedacht.

Eine Oscar-Trophäe

Die Trophäe in der Hand der „Besten Schauspielerin“ Michelle Yeoh Foto: Mario Anzuoni/reuters

Als ich am Montagmorgen sah, dass Michelle Yeoh mit dem Oscar für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde, kamen mir die Tränen und das fand ich irritierend. Irritierend, weil ich seit einer Weile einen Kampf ausfechte mit Repräsentation, die ja wichtig ist, aber eben nicht ausreichend, die noch zu oft imagepflegend vorgeschoben wird, während man sich um echten Wandel zu wenig bemüht. Irritierend, weil ich doch längst keine einzelnen Personen mehr idolisiere. Und, weil ich kritisch bin gegenüber dem, was auf den Bühnen eines Glitzershowapparats passiert.

Aber dann stand da Michelle Yeoh, sechzigjährig, mit offenen Haaren und Diamanten im Haar, in einem fluffig-weißen Kleid. Sie sah aus wie ein kleines Kind, das sich als Prinzessinnenbraut verkleiden wollte und zugleich wie eine Frau, die mit einem Motorrad auf einen fahrenden Lastwagen springen und Jackie Chan ein chauvinistisches Schwein nennen kann. Wie eine mit viel zu viel Geld und wie eine, die meine Mutter sein könnte. All at once. Also Tränen.

Aber auch Tränen, weil es eben nicht nur darum ging, eine einzelne Person oder „asiatische“ Sichtbarkeit zu feiern. Mit „Everything, everywhere, all at once“ gewann ein Film, der migrantische Durchschnittsrealität in den Mittelpunkt stellt, der mit Seh- und Plotgewohnheiten bricht und sich traut, ein Publikum herauszufordern. Ke Huy Quan bekam den Preis für den besten Nebendarsteller, nachdem ein rassistisches Hollywood ihm jahrzehntelang Chancen verweigert hat. Yeoh ermutigte in ihrer Dankesrede alle Frauen, sich niemals sagen zu lassen, sie hätten ihre besten Tage hinter sich. Regisseur Daniel Scheinert dankte seinen Eltern, dass sie ihn Drag tragen ließen, “was keine Bedrohung für irgendjemanden ist“. Und wie Jamie Lee Curtis seit Monaten Michelle Yeoh feiert, wird längst als Meme auf T-Shirts gedruckt.

Scheinwerferlicht auf Frauen, die ihre Communitys wieder aufbauen

Es ist wesentlich, diese Dinge zu betonen – auch dann, wenn eine Community ihre geteilten Geschichten und einen Moment kollektiven Stolzes völlig zu Recht feiert, nachdem sie weiterhin viel zu oft in Schmerz verbunden ist. Weil in dieser Vielschichtigkeit die Welt liegt, wie sie sein kann. Innovativ, mutig, solidarisch und verwoben in ihren politischen Kämpfen.

Am Montagabend erschien in der New York Times ein Text von Yeoh. Sie schreibt, wie besonders Mädchen und Frauen derzeit unter Krieg, Pandemie und den Folgen des Erdbebens in Syrien und der Türkei leiden. „Wenn ich mit diesem Moment meines beruflichen Glücks etwas tun kann, dann will ich das Scheinwerferlicht auf jene richten, die viel zu oft unbemerkt bleiben, die Frauen, die ihre Communitys wieder aufbauen, Kinder und Alte betreuen und Essen auf den Tisch stellen. Lasst uns sichergehen, dass sie mit im Raum sind, wenn Entscheidungen getroffen werden, von denen sie am meisten betroffen sind“, schreibt Yeoh. Und nein, ich idolisiere nicht mehr. Aber ein bisschen applaudieren kann ich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Ihr erster Roman 'Wovon wir träumen' erschien 2022 bei Piper. Zuletzt wurden ihre Kurzgeschichten in Das Wetter Buch für Text und Musik und Delfi Zeitschrift für Neue Literatur veröffentlicht.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.