countdown lützerath
: Die Räumung hat begonnen

Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen Braunkohleabbau auszuweiten. Die Be­set­ze­r:in­nen wehren sich. Nun hat die Räumung begonnen. Unsere Au­to­r*in­nen Aron Boks und Annika Reiß leben mit den Ak­ti­vis­t*in­nen vor Ort.Ein Tagebuch

Lützerath ist umstellt. Die Polizei ist am Mittwoch tatsächlich ins Dorf eingedrungen, nachdem sie sich tagelang nur am Ortseingang bewegt hatte. Die Räumung hat angefangen. Ich habe keine Sekunde geschlafen.

„Die stürmen wahrscheinlich die Paula“, schreibt mir mein Kollege Aron Boks. Der riesige Hof mit dem in Regenbogenfarben bemalten Eingangstor? Heute schon? Ich öffne hektisch den Infoticker. Es passiert so viel gleichzeitig, dass ich den Wunsch, den Überblick zu behalten, wohl am besten begrabe.

„Der Polizeieinsatz begann um 7:30 Uhr und gegen 9 war der ganze Boden von Polizei besetzt. Keiner hat gedacht, dass das so schnell passiert“, sagt Aron am Telefon. Er flüstert und redet sehr schnell. Wer weiß, wie lange man noch reden kann. Daher verkneife ich mir zu fragen, wie es ihm geht. Er sitzt eingehakt mit Menschen im „Phantasialand“ – einem Barrio mit Holzhütten und Baumhäusern. Menschen kommen aus Lützerath zurück ins Camp, wo auch ich bin, und berichten, von ihren Bezugsgruppen getrennt worden zu sein.

„Die BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit; d. Red.) lief mit geballten Fäusten und Knüppeln voraus“, erzählt mir Leo. „Sie haben nicht gesagt, bitte verlassen Sie den Ort, sondern verpisst euch, sonst gibt es auf die Fresse.“ Er studiert Jura und will einen Beitrag leisten, indem er Rechtsauskunft erteilt, wo es nötig ist.

Parallel kommen Nachrichten von Freun­d:in­nen und Bekannten bei mir an, die noch auf dem Weg hierher sind. Falls sie festgenommen werden und ich mich frage, wo sie bleiben. Die Begründung für Festnahmen ist in solchen Fällen immer dieselbe: Gefahrenabwehr. Damit muss man rechnen. Das heißt für mich, ich bewege mich an keinem Ort hier mehr ohne Angst.

Ich bin nicht direkt im Geschehen. Mein Herz rast trotzdem. Niemand wird nun mehr in den Ort gelassen. Keine Aktivist:innen, keine Presse. Ich lese, dass die Polizei Jour­na­lis­t:in­nen bei ihrer Arbeit behindert und mit Festnahme droht. So eine Einschränkung, so ein radikales und gewaltsames Vorgehen der Polizei hab ich noch nie erlebt. Ab jetzt ist nichts mehr wie es war.

Annika Reiß