Übergriff der Berliner Polizei: Faeser sieht keinen Rassismus

Die Innenministerin verteidigt die Aussagen eines Beamten. Berlins Justizsenatorin hofft, dass solche Einsätze wegen Schwarzfahrens obsolet werden.

Nancy Faeser auf einer Pressekonferenz

Bundesinnenministerin Faeser (SPD) am Mittwoch bei einer Pressekonferenz Foto: reuters

BERLIN taz | Der massive Polizeieinsatz in der Wohnung eines syrischen Ehepaars in Lichtenberg schlägt weiter hohe Wellen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte am Mittwoch, sie empfinde die Äußerung des Polizisten Jörg K. „nicht als Rassismus“.

Natürlich gebe es in Deutschland Rassismus, auch bei der Polizei, so Faeser bei einer Pressekonferenz in Berlin, während der sie auch zu diesem, vergangene Woche bekannt gewordenen Vorfall befragt wurde. Wenn sich ein Polizist im Ton vergreife, dann werde das nicht geduldet, so Faeser. Man müsse generell aber Verständnis haben, wenn Polizistinnen und Polizisten deutliche Worte wählten, wenn sie durchgreifen müssten. Damit positioniert sich die Innenministerin ganz anders als SPD-Innenpolitiker in Berlin und auch als Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke).

In einem Video, das Ausschnitte des Polizeinsatzes zeigt, der am 7. September stattgefunden hat, ist zu sehen und hören, wie der Beamte die syrische Ehefrau anschnautzt: „Das ist mein Land, und Du bist hier Gast.“ Und später noch mal, an den syrischen Ehemannn gewandt: „Du bist hier in unserem Land. Und nach unseren Gesetzen habt Ihr euch zu verhalten.“ Grund für den Polizeieinsatz war offenbar das wiederholte Fahren ohne Ticket des Mannes.

Laut Justizsenatorin Kreck könnten die Äußerungen aufgrund der rassistischen Zuschreibung und der ethnischen Herkunft eine Diskriminierung darstellen, wie sie am Mittwoch im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses erklärte. Sie habe keine eigenen Erkenntnisse über den Polizeieinsatz und kenne nur das veröffentlichte Video sowie die Presseberichte. Sie legte der betroffenen Familie nahe, sich an die unabhängige LADG-Ombudsstelle des Landes Berlin zu wenden.

Diese Stelle, die sich mit Beschwerden auf Grundlage des Antidiskriminierungsgesetzes des Landes beschäftigt, habe vielfältige Erfahrungen mit Kritik an der Polizei. Von rund 100 bei der Ombudsstelle eingegangenen gegen Polizisten gerichtete Beschwerden, so Kreck, betreffe fast die Hälfte diskriminierendes und herabwürdigendes Verhalten. Deshalb könne der aktuelle Vorfall „nicht bloß als Einzelfall bewertet werden“.

Linke: „Strukturelles Problem bei der Polizei“

Die Linkenpolitiker Ferat Kozak und Niklas Schrader hatten in den vergangenen Tagen mit Blick auf den Vorfall von einem strukturellen Problem bei der Polizei Berlin gesprochen. Dafür waren sie von Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) und der Gewerkschaft der Polizei massiv kritisiert worden. Aber auch Akmann hatte das Verhalten des Beamten kritisiert. „Das Video zeigt sehr deutlich, dass sich der Beamte fremdenfeindlich äußert und verhält“, erklärte er am Montag im Innenausschuss. Der Vorfall werde lückenlos aufgeklärt, ein solches Verhalten sei „absolut inakzeptabel, so einen Polizeibeamten wollen wir nicht“.

Der Fall hat aber noch eine Facette, die in der Berichterstattung bisher kaum Beachtung fand. Grund des Polizeieinsatzes war, einen Haftbefehl gegen den Ehemann zu vollstrecken. Wegen Erschleichens von Leistungen – umgangssprachlich Schwarzfahren – war er zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt worden, die er offenbar nicht bezahlt hatte. „Es handelte sich wohl um die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe“, stellte Kreck im Rechtsausschuss fest.

Menschen, die Ersatzfreiheitsstrafen wegen Schwarzfahrens verbüßen, machen seit langem einen Großteil der Berliner Gefängnisinsassen aus.

Fahren ohne Fahrschein gilt in Deutschland als Straftat, wenn man binnen von zwei Jahren dreimal ohne Ticket erwischt wird. Die Ampelkoalition im Bund war mit der Ankündigung angetreten, untersuchen zu wollen, ob der Straftatbestand nicht auf eine Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden kann.

Menschen, die Ersatzfreiheitsstrafen wegen Schwarzfahrens verbüßen, weil sie ihre Geldstrafen nicht bezahlt haben, machen seit langem einen Großteil der Berliner Gefängnisinsassen aus. Zumeist handelt es sich um sozial Benachteiligte, die ein Drogenproblem haben, aus der Obdachlosigkeit kommen oder psychisch krank sind.

Ein erster Schritt zur Reduzierung der Ersatzfreiheitsstrafen könnte der von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor der Sommerpause eingebrachte Referententwurf sein. Kreck verwies am Mittwoch im Rechtsausschuss auf die in dem Entwurf vorgesehene Anpassung des Umrechnungsmaßstabs. Bislang galt: 1 Tagessatz gleich 1 Tag Knast. Vorgesehen sind nun 2 Tagessätze gleich 1 Tag Knast. Sie werde sich weiter für eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens einsetzen, sagte Kreck und betonte zugleich, der Entwurf gehe in die richtige Richtung.

Unabhängig davon gibt es eine Berliner Besonderheit, Kreck verwies am Mittwoch darauf: Der rot-rot-grüne Vorgängersenat mit Dirk Behrendt (Grüne) als Justizsenator hatte 2021 eine Neufassung der Berliner Tilgungsverordnung beschlossen. Um die Ersatzfreiheitsstrafe im Vorfeld leichter tilgen zu können, wurde die Regelarbeitszeit für soziale Arbeit von sechs auf vier Stunden – pro 1 Tag Knast – gesenkt.

Ausbauen wolle sie nun das sogenannte „Day by Day“-Programm, sagte Kreck. Verurteilte Personen, die ihre Ersatzfreiheitsstrafe bereits verbüßen, können diese im Rahmen von „Day-by-Day-Maßnahmen“ während des Strafvollzugs tilgen. Möglich war dies bisher aber nur in der JVA für Frauen und in der JVA-Plötzensee für Männer. Kreck kündigte an, „Day by Day“ in allen Berliner Haftanstalten umzusetzen.

Was den aktuellen Fall des Syrers betrifft, musste die Justizsenatorin am Ende ihres Vortrag aber eingestehen: „Da scheinen die Maßnahmen nicht gegriffen zu haben.“

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