Einfach unkaputtbar

GedenkenRio in Berlin: Am Samstag wurde im Heimathafen Neukölln der 20. Todestag des Sängers Rio Reiser begangen

Zu seinem zwanzigsten Todestag gibt es Rio total. Nicht nur in Brasilien, worauf diese Zeitung jüngst elegant auf ihrer Titelseite hingewiesen hat, auch auf dem Cover der aktuellen Zitty prangt er, dessen Songs, ob mit den Ton, Steine, Scherben oder solo, bis heute – und das ist in diesem Fall mehr als eine Floskel – unvergessen sind.

Regelrechte Rio-Festspiele sind das gerade: Compilations zu seinem Gedenken sind erschienen oder werden es bald sein, das, was von den Ton, Steine, Scherben übrig geblieben ist, tourt, wenngleich auch etwas zombiesk wirkend, derzeit wieder umher, und auch ein neues Buch deutet das Leben des singenden Poeten nochmals neu.

Immer neue Facetten

Rio Reiser, der im Alter von 46 Jahren viel zu jung gestorben ist, bedeutet den Leuten noch etwas, und immer neue Facetten scheint man an ihm weiterhin entdecken zu können. Rio in Berlin, Rio in seiner Kommune in Fresenhagen, Rio als König von Deutschland, Rio als schwuler Mann, das Leben und Wirken der Ikone der deutschen Rockmusik scheint noch lange nicht auserzählt zu sein.

Am Samstag gab es dann auch gleich mehrere Konzerte zu seinem Gedenken in Berlin, im Heimathafen Neukölln hat man gar unter dem Motto „Für immer und dich“ gleich eine regelrechte Rio-Revue veranstaltet. Vor allem der leise, nachdenkliche, melancholische, ja der mystische Rio wurde hier gewürdigt, der – metrosexuell avant la lettre – zu seinen Gefühlen stand und der einst in sein Tagebuch schrieb: „Mein Ziel ist die Liebe.“

Einen Song, maximal zwei durften die unterschiedlichsten Musiker und Künstler vortragen, Rio-Songs in zum Teil ganz eigenen, überraschenden Versionen. Da setzte sich beispielsweise diese junge Holländerin an das Piano und sang dazu absolut berührend „Dahin“. In ihr Spiel drangen plötzlich geisterhafte elektronische Töne, wie Signale aus dem Jenseits und dazu dann diese Songzeile: „Und das Leben geht weiter.“ Ergreifend, wirklich wahr.

Rio kann sich nicht mehr dagegen wehren, wie sein Leben und Schaffen von allen Seiten, längst sogar von rechts oder immer wieder gern von Clauia Roth, vereinnahmt wird. Aber mit dieser ruhigen, unaufgeregten Revue in Neukölln wäre er bestimmt einverstanden gewesen.

Verbeugung vor Rio

Manche der Auftretenden klampften sich einfach nur mit der Gitarre und mit Rio-Stimme durch ein Rio-Stück und verbeugten sich danach vor dem Publikum, aber natürlich noch viel mehr vor Rio Reiser selbst tatsächlich mit den Worten „Der Kampf geht weiter“ und „Keine Macht für niemand.“ Andere, wie dieser achtköpfige Frauenchor, bewiesen, dass Rio-Reiser-Songs heute zu einer Art „Great German Songbook“ gehören und sich auf die vielfältigste Weise immer neu interpretieren lassen, dass sie einfach unkaputtbar sind.

Allein schon und immer wieder auch wegen der Texten: „Wir haben nichts zu verlieren, außer unserer Angst“, das ist doch einfach immer noch ein schöner Kalenderspruch. Selbst diese Performance von „Der Krieg“, in der ein 16-jähriges Flüchtlingsmädchen mit Kopftuch den Text des Songs auf den Körper projiziert bekam, auf dem dann die Worte „Der Krieg ist nicht tot“ zu lesen waren, ging, obgleich dieser Auftritt schon einigermaßen melodramatisch wirkte, irgendwie in Ordnung.

„Solidarität“ heißt immerhin ein Gassenhauer der Ton, Steine, Scherben – dass dieser heute immer noch eine Bedeutung hat, auch das konnte man durchaus erleben an diesem Abend im Heimathafen Neukölln.

Andreas Hartmann