Kolumne Mittelalter: Die Mafia-Faschismus-Connection

Was wird aus Europa? In Berlin erzählte ein italienischer Historiker, was mal fast daraus geworden wäre und welche Rolle „Säbelrasseln“ haben kann.

verhaftung eines mafia-bosses

Verhaftung eines Ndrangheta-Bosses in Kalabrien Foto: dpa

Drei Wochen ist der Brexit nun alt. Und wenn inzwischen auch die Rechten lustig sein wollen und weniger von Lügen- als von „Lückenpresse“ sprechen, so zeigt der Blick in die Leitmedien das Gegenteil: Vom Wahlrechtsentzug für Alte und Arme über die Beschimpfung der dummen Jungen, die nicht wählen gehen, bis zur Frage, ob es nicht doch wieder Zeit für linken Populismus, ja gar für Kommunismus wäre, ist alles beredet worden.

Wie es weitergeht, weiß niemand. Was wir hingegen wissen, ist, was möglich war, als der „Kommunismus“ in Europa das letzte Mal verhindert werden sollte. Einen Teil dieser Geschichte erzählte am vergangenen Montag der italienische Historiker Enzo Ciconte in Berlin in seinem Vortrag „Verbindungen zwischen Mafien und Rechtsterrorismus in Italien von den 1970er Jahren bis heute“.

Bekannt, wenn auch kaum verbreitet, ist die Tatsache, dass der aus römisch-vatikanischem Adel stammende Kriegsverbrecher Julio Valerio Borghese in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember 1970 einen faschistischen Putsch in Italien plante.

Borghese hatte sich ab 1943 in der „Italienischen Sozialrepublik“ – Mussolinis Staat von Hitlers Gnaden – als gnadenloser Partisanenbekämpfer hervorgetan. Das interessierte die amerikanischen und britischen Geheimdienste sehr, sie halfen mit, dass Borghese nach kurzer Haft sein antikommunistisches Engagement im Nachkriegsitalien ungebrochen wieder aufnehmen konnte.

Neu in Cicontes Vortrag war für mich, dass ein Boss der kalabresischen Mafia-Organisation ’Ndrangheta, Paolo de Stefano, sich für die Putschpläne des faschistischen Prinzen Borghese so begeisterte, dass er ein Heer von 1.500 Mafiosi zur Unterstützung bereitstellte.

Im letzten Moment abgesagt

Warum Borghese seine minutiös geplante Machtergreifung im letzten Moment absagte, ist ungeklärt. Ciconte sagt, das „Säbelrasseln“ habe genügt, um einen Linksruck der italienischen Politik zu verhindern. Dass die italienischen Geheimdienste über alles informiert waren, sei bewiesen, bei der CIA sei es offensichtlich, sagt Ciconte.

Das entscheidende Treffen zwischen Paolo De Stefano und Borghese fand auf Vermittlung des Rechtsextremisten (und Anwalts) Paolo Romeo im Sommer 1970 in Reggio Calabria statt. Ebenjener Paolo Romeo hat, wie die am Dienstag bekannt gewordene „Operation Rhegion“ der italienischen Polizei ergab, bis heute die Auftragsvergabe für öffentliche Bauten in der kalabresischen Metropole kontrolliert – neben dem Drogenhandel die Haupteinnahmequelle der Clans.

Das deckt sich exakt mit Cicontes Fazit, die faschistisch-mafiösen Netzwerke hätten sich nach dem Sieg über den Kommunismus auf Geld und Macht konzentriert. „Aber wenn sie gerufen werden, sind sie jederzeit einsatzbereit“, schloss er seinen Vortrag.

Und unser Europa, in dem Waren und Dienstleistungen frei zirkulieren? Vielleicht überflüssig zu erwähnen, dass keines der Bücher Cicontes auf Deutsch vorliegt und dass der Spezialist für Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität, Rechtsterroristen und Geheimdiensten vom NSU-Komplex nicht mehr als den Namen kennt.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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