Nicht alle Handys im Schrank

NSU-AFFÄRE Der Verfassungsschutz findet überraschend Mobiltelefon eines Topspitzels, dem NSU-Kontakte vorgeworfen werden. NSU-Ausschuss im Bundestag ist empört

Mal nicht mit Handy, dafür mit Kamera: V-Mann „Corelli“ (rechts) bei einer Nazidemo in Magdeburg im Januar 2011 Foto: Roland Geisheimer/attenzione

Aus Berlin Konrad Litschko

Abtauchen. Das stand am Donnerstag mal wieder auf dem Programm des Verfassungsschutzes. Tags zuvor hatte das Amt dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag eine Blamage beichten müssen: den Fund eines Handys des früheren Topspitzels „Corelli“, in einem Panzerschrank im eigenen Amt. Jener V-Mann, der seit Jahren ein Politikum ist, weil ihm eine NSU-Nähe nachgesagt wird. Und nun ist da dieses Telefon. In einem Schrank, der angeblich schon viermal durchsucht wurde.

Der Verfassungsschutz reagierte darauf öffentlich erst einmal mit: Stille. Dabei ist die Peinlichkeit damit nicht zu Ende. Denn obwohl „Corelli“ schon länger den Bundestag, das BKA und den eigens eingesetzten Sonderermittler Jerzy Montag (Grüne) beschäftigte, behielt das Amt den Fund monatelang für sich. Aus Schlamperei? Oder Vertuschung?

Klar ist: Thomas „Corelli“ Richter diente 18 Jahre lang dem Bundesverfassungsschutz als Topquelle, kassierte dafür 300.000 Euro. 1998 stand er auf einer Kontaktliste des späteren NSU-Mitglieds Uwe Mundlos. Zudem übergab der V-Mann dem Verfassungsschutz ­bereits 2005 eine CD mit dem Titel „NSU/NSDAP“ – die unausgewertet in den Regalen verstaubte. Im April 2014 verstarb der 39-Jährige plötzlich an einem unerkannten Diabetes.

Nach seinem Tod fanden Ermittler gleich fünf Handys zu Richter. Nun gibt es noch ein weiteres. Sonderermittler Montag hatte nach monatelangen Recherchen im Mai 2015 seinen Abschlussbericht vorgelegt. Und kurz danach findet sich das Handy. Zufall?

Nach taz-Informationen befinden sich auf dem Telefon mehrere hundert Fotos und rund 200 Kontakte, darunter etliche Neonazi-Größen. Ob darunter auch NSU-Kontaktleute sind, ist ungeklärt. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft sagte am Donnerstag, das Telefon werde noch ausgewertet.

Richter soll das Handy von Juli bis September 2012 genutzt haben – also wenige Monate nach Auffliegen des NSU. Als der V-Mann damals enttarnt wurde und eine neue Identität bekam, landete das Telefon bei „Corellis“ V-Mann-Führer im Verfassungsschutz, der ihn seit 1999 betreut hatte.

Seitdem soll es unausgewertet in einem Panzerschrank gelegen haben – in einem Umschlag mit der Aufschrift „privat beschafft“. Erst bei einem Bürowechsel im Sommer 2015 soll das Handy gefunden worden sein – bei der fünften Durchsuchung des Schranks. Warum erst da? Der Verfassungsschutz lässt dies offen. Er teilte am Donnerstag nur mit: Das Handy sei nur „sehr kurz“ genutzt worden. Die Auswertung liege nun beim BKA. Das war’s.

„Unverständlich angesichts der Brisanz des V-Mannes“

Clemens Binninger (CDU)

Die Abgeordneten im NSU-Ausschuss besänftigt das nicht. Der Vorsitzende Clemens Binninger (CDU) nannte den Vorgang „unverständlich angesichts der Bedeutung und der Brisanz des V-Mannes Corelli“. Der Ausschuss will nun die komplette Kontaktliste des Handys vorgelegt bekommen.

Klären will er auch, warum der Fund erst jetzt bekannt wird. Nach taz-Informationen landete das Handy zunächst bei Technikexperten des Verfassungsschutzes. Erst im April 2016 soll es gelungen sein, das Telefon „Corelli“ zuzuordnen. Seit dem 21. April war auch Verfassungsschutzpräsident Hans-­Georg Maaßen im Bilde. Dennoch meldete das Amt den Fund erst Anfang Mai dem Innenministerium. Noch eine Woche dauerte es, bis der NSU-Ausschuss informiert wurde.

Damit setzt sich das sonderliche Gebaren des Verfassungsschutz in der NSU-Affäre fort. Nur eine Woche nach Auffliegen der Terrortruppe hatte ein Mitarbeiter Akten mit Bezug zum Trio im Amt geschreddert. Und die „NSU“-CD von „Corelli“ hatten erst ermittelnde BKAler in dem Amt gefunden. Sonderbar auch der V-Mann-Führer, in dessen Schrank nun das Handy lag: Im ersten NSU-Ausschuss des Bundestags hatte er ausgesagt, dass „Corelli“ „zu keinem Zeitpunkt Neonazi“ gewesen sei. Allein sein Amt habe ihn in die Szene geschickt.

Richter selbst hatte zu Lebzeiten einen Kontakt zum NSU bestritten. Auch Sonderermittler Jerzy Montag sah dafür keine Belege. Das Nichtauswerten der „NSU“-CD nannte er „grob regelwidrig“. Über den Fund des Handys zeigte sich Montag überrascht. In seinem Abschlussbericht hatte er geschrieben, nach seinem Eindruck hätten ihm alle Informationen zu „Corelli“ vorgelegen. Nun wird im Bundestag überlegt, ihn erneut als Ermittler einzusetzen.