Karlsruhe prüft die Tarifeinheit

Berufsgewerkschaften In wenigen Wochen wird das Bundesverfassungsgericht über drei Eilanträge zum neuen Tarifeinheitsgesetz entscheiden

Die Vertretungen der Ärzte, Piloten und Journalisten ziehen an einem Strang

KARLSRUHE taz | Das Bundesverfassungsgericht arbeitet mit Hochdruck an einer ersten Entscheidung zum Tarifeinheitsgesetz. Drei Gewerkschaften haben Eilanträge gestellt, über die bereits in einigen Wochen entschieden wird.

Das Tarifeinheitsgesetz ist seit 10. Juli in Kraft. Es will vermeiden, dass in einem Betrieb zwei unterschiedliche Tarifverträge gelten. Wenn es keine freiwillige Einigung gibt, dann soll künftig nur der Vertrag der Gewerkschaft wirken, die im Betrieb mehr Mitglieder hat. Begründet wird das Gesetz damit, dass Arbeitsgerichte Streiks von Minderheitsgewerkschaften künftig als unverhältnismäßig verbieten werden, da deren Tarifverträge eh wirkungslos bleiben. Dagegen haben bisher fünf Gewerkschaften Verfassungsbeschwerde erhoben: die Ärztegewerkschaft Marburger Bund, die Pilotenvereinigung Cockpit, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft und die Lokführergewerkschaft GDL. Sie berufen sich auf die Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes, die auch berufsspezifische Gewerkschaften schützt.

Die Kläger fürchten um ihre Existenz oder zumindest ihre Attraktivität, wenn sie keine Tarifverträge mehr erzwingen können oder die von ihnen ausgehandelten Tarifverträge keine Geltung erlangen. Nur drei der Kläger haben auch einen Eilantrag gestellt: Der Marburger Bund, Cockpit und der DJV. Sie wollen nicht warten, bis Karlsruhe über die Verfassungsbeschwerden entscheidet, denn das kann einige Jahre dauern. Sie hoffen, dass es das Gesetz mit einer einstweiligen Anordnung außer Kraft setzt. Schon jetzt drohten schwere Nachteile, argumentieren sie. So verweigerten Arbeitgeber Tarifverhandlungen wegen einer vermeintlichen Minderheitsposition, heißt es zum Beispiel bei den Ärzten vom Marburger Bund.

Das Bundesverfassungsgericht muss die Eilanträge ernst nehmen. Es könnte sie nur ignorieren, wenn es die Verfassungsbeschwerden für „offensichtlich unzulässig“ oder „offensichtlich unbegründet“ hielte. Das ist nicht der Fall. Stattdessen hat Karlsruhe sofort die sogenannte „große Zustellung“ veranlasst. Das heißt: Klagen und Eilanträge wurden an Bundesregierung, Bundestag, alle Landesregierungen sowie wichtige Verbände wie DGB und Arbeitgeber übermittelt, insgesamt waren es 27 Empfänger. Und diese hatten nur zwei Wochen Zeit zur Stellungnahme. Anschließend konnten alle noch eine weitere Woche auf die Stellungnahmen der anderen reagieren. Am 17. August endete dieser äußerst kurze Anhörungsprozess.

Nun wertet die federführende Richterin Susanne Baer (sie wurde einst von den Grünen vorgeschlagen) die Stellungnahmen aus und bereitet den Beschluss des Ersten Senats vor. Die Entscheidung wird wohl schon in einigen Wochen fallen. Dieser Beschluss wird sich dann aber lediglich auf die Eilanträge beziehen.

Im Eilverfahren geht es um eine Folgenabwägung. Ist es schlimmer, wenn das Tarifeinheitsgesetz zunächst in Kraft bleibt und später für verfassungswidrig erklärt wird? Oder wären die Folgen gravierender, wenn das Gesetz ausgesetzt wird, obwohl es keine Grundrechte verletzt? Dass ein Gesetz per einstweiliger Anordnung gestoppt oder eingeschränkt wird ist die ganz große Ausnahme. Erst sechs Mal war dies bisher der Fall, zum Beispiel 2008 bei der Vorratsdatenspeicherung.

Bei der Entscheidung um die Eilanträge geht es noch nicht um die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht keine einstweilige Anordnung erlässt, kann das Tarifeinheitsgesetz später beanstandet und für nichtig erklärt werden. Die Tatsache, dass viele Rechtsprofessoren das Gesetz wegen der massiven Benachteiligung der kleinen Gewerkschaften für verfassungswidrig halten, wird also wohl erst im Hauptsache-Verfahren relevant werden.

Das Hauptverfahren wird nicht vor Juli 2016 beginnen. Bis dahin können noch Verfassungsbeschwerden eingereicht werden. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will zum Beispiel erst die Karlsruher Eil­entscheidung abwarten, bevor sie klagt. Eine Verfassungsbeschwerde ist aber sicher angekündigt. Vor allem in Medienbetrieben ist Verdi ja oft selbst in einer Minderheitsposition. Christian Rath