Zum Tod von Christian Semler: Kein Besuch mehr auf der Insel

Christian Semler war ein Vorbild an Gelassenheit und Abgeklärtheit. Nur wenn Stöße auf dem Billardtisch ihr Ziel verfehlten, wurde er ungeduldig.

ISTANBUL taz | Wenn ich an Christian denke, fällt mir nicht zuerst der Intellektuelle, der Essayist und ehemalige Vorsitzende einer kommunistischen Splitterpartei ein. Ich denke an einen Freund, der für mich ein Vorbild an Gelassenheit und positiver Abgeklärtheit war.

Christian war so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen. Vor allem jenseits der Politik, konnte Christian fast jeder misslichen Lage noch einen erfreulichen oder doch zumindest ironischen Aspekt abgewinnen.

Ich erinnere mich, wie wir auf der Ostsee in einem kleinen Segelboot in ziemlich heftiges Wetter gerieten. Christian war damals noch manischer Raucher, seine Kippe ging praktisch nie aus, was er immer damit rechtfertigte, er paffe ja nur und inhaliere nicht. Vom paffen konnte ihn jedoch nichts abhalten. Noch bei Windstärke 7 zündete sich Christian eine Selbstgedrehte nach der anderen an, nur dass der Wind seine Kippen schneller rauchte als er selbst.

Während andere Leute blass um die Nase wurden, interessierte er sich für die beste Rauchtechnik bei Starkwind. Dass die Kiste fast kenterte, bekam er gar nicht mit. Für mich war das Gelassenheit in Vollendung.

Einer der häufisten Gäste auf den Prinzeninseln

Nachdem ich vor 13 Jahren von Berlin nach Istanbul gegangen war, war Christian einer unserer häufigsten Gäste. Er liebte die Prinzeninseln im Marmarameer vor der Stadt, die bewaldeten Hügel im Meer, wo schon Leo Trotzki die ersten Jahre seines Exils nach der von Stalin geraubten Revolution verbracht hatte. Ein Ort zum Fahrradfahren und um über die Weltläufte zu sinnieren.

Christian wollte immer alles genau wissen, niemand sonst von meinen deutschen Freunden konnte sich wie er für osmanische und byzantinische Geschichte begeistern. Am meisten aber interessierte ihn das Leben der Leute. Angefangen von den Fischern am Hafen, über die Schufterei in den Fabriken, bis zum türkischen Fußballfanatismus - unvergessen unsere Besuche in gestopft vollen Fußballkneipen, wo die Leute sich die Seele aus dem Leib brüllten.

Ungeduldig und mit sich selbst hadernd habe ich Christian nur am Billardtisch erlebt. Wenn einer seiner genialen Stöße leider mal wieder das Ziel verfehlte, konnte er richtig ärgerlich werden. Wir verordneten uns dann immer mehr Training, wozu es dann aber regelmäßig nicht kam. Wir werden ihn sehr vermissen auf der Prinzeninsel im Marmarameer.

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