Weißer Ring zu Opferschutz: "Wir dürfen uns nicht an Gewalt gewöhnen"

Trotz Verbesserungen: Es fehlt noch an Hilfen an Opfern von Gewalttaten, sagt Helmut B. Rüter vom "Weißen Ring"

taz: Herr Rüter, nehmen in Berlin Überfälle wie der in Lichtenberg zu?

Helmut B. Rüter: Solche Überfälle wie jetzt in Berlin und davor in München sind die Spitze des Eisbergs, die medienmäßig in Erscheinung treten, aber wir leben in einem Land, in dem pro Jahr mehr als 200.000 Gewalttaten passieren. Das darf keine Normalität sein.

Ist der Weiße Ring im aktuellen Fall schon aktiv geworden?

Helmut B. Rüter ist Sprecher der Opferhilfeorganisation Weißer Ring. Wer Kontakt mit der Organisation aufnehmen will: Die Notfallnummer 11 60 06 ist rund um die Uhr erreichbar.

In der Regel stellt die Polizei den Kontakt zum Weißen Ring her. Wir haben unsere Hilfe natürlich sofort angeboten, überlassen es aber den Opfern, zu welchem Zeitpunkt sie unsere Hilfe in Anspruch nehmen möchten.

Worin besteht diese Hilfe?

Wir bieten den Opfern zunächst persönlichen Beistand, damit sie sich aussprechen können. Das gilt genauso für die Angehörigen, denn das familiäre Umfeld wird oft vergessen. Wir überlegen gemeinsam mit den Betroffenen, was die nächsten Schritte sein können. Die Opfer können zum Beispiel eine kostenlose Erstberatung bei einem Anwalt, den wir vermitteln, oder auch eine psychotraumatologische Beratung in Anspruch nehmen. Wir helfen ihnen bei der Kinderbetreuung oder bei Umzügen und unterstützen sie finanziell, wenn durch eine Straftat wirtschaftliche und finanzielle Notlagen entstanden sind. Das müssen sie nicht zurückzahlen.

Es wird oft beklagt, dass mehr für die Täter als für die Opfer getan wird. Sehen Sie das auch so?

Man sollte die beiden Seiten nicht gegeneinander ausspielen, aber Tätern werden immer noch mehr Chancen eingeräumt, wieder zurück in ein normales Leben zu finden, als das auf der Opferseite der Fall ist. Resozialisierung und Wiedereingliederung von Straffälligen ist wichtig, aber genauso wichtig ist es, sich intensiv um die Opfer zu kümmern. Da besteht immer noch Handlungsbedarf, aber wir haben in den letzten Jahren einiges erreicht.

Was zum Beispiel?

Der Opferschutz ist verbessert worden, früher war das Opfer nur ein Objekt, jetzt ist es ein Subjekt, dessen Persönlichkeitsrechte geschützt werden müssen. Früher bekam nur jeder Angeklagte einen Pflichtverteidiger, der vom Gemeinwesen bezahlt wird. Opfer dagegen mussten ihren Anwalt selbst bezahlen. Eine Studentin, die vergewaltigt worden ist und sich keinen Anwalt leisten konnte, saß dann allein im Zeugenstand, während die Täter alle ihren Verteidiger hatten. Das hat man mittlerweile erkannt. Aber es gibt immer noch zu wenig niedrigschwellige Angebote. Wir brauchen ein flächendeckendes Beratungsnetz von staatlicher Seite, an das sich Opfer jederzeit wenden können.

Was kann denn gegen die Zunahme von Gewalttaten unternommen werden?

Wir dürfen uns nicht an Kriminalität gewöhnen, nur weil wir durch das Fernsehen von morgens bis abends mit Straftaten und Gewalt berieselt werden. Deshalb gucken Leute bei solchen Geschehnissen im öffentlichen Raum auch weg. Gewalt soll nicht verwaltet, sondern muss geschlossen bekämpft werden. Dazu gehört in erster Linie Aufklärung, auch über Zivilcourage. Oft wissen die Leute nicht, wie sie sich verhalten sollen. Dazu sind Kampagnen seitens der Bundesregierung nötig, damit die Leute wissen, dass sie ein Handy bedienen oder andere Leute ansprechen können und dass sie eine Verantwortung zum Helfen haben.

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