Streit vor dem EU-Gipfel: Ärger über Merkels "rote Linien"

Die Kanzlerin gerät vor dem EU-Gipfel unter Druck: Sie soll mehr für Griechenland und die Euro-Rettung tun. Die ursprünglichen Themen rutschen in den Hintergrund.

Protest-Motiv: Die deutsche Kanzlerin ist bei den Demonstranten, die in Italien gegen die Reformpläne der Regierung protestieren, nicht besonders beliebt. Bild: reuters

BRÜSSEL taz | Eigentlich soll es ein Gute-Laune-Treffen werden. Beim Sondergipfel der Europäischen Union Montag in Brüssel will Kanzlerin Angela Merkel "ihren" Fiskalpakt für mehr Budgetdisziplin in der Eurozone durchwinken und ein neues Programm für Wachstum und Beschäftigung auflegen. Schaut her, wir rücken enger zusammen und arbeiten uns Stück für Stück aus der Euro-Schuldenkrise heraus, soll die frohe Botschaft lauten.

Doch daraus wird wohl nichts. Die eskalierende Griechenland-Krise hat der Kanzlerin die gute Laune verhagelt - und die Regie für den EU-Gipfel durcheinandergewirbelt. Vor dem Treffen der Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten soll es nun eine Dreierrunde mit der deutschen Kanzlerin, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und Italiens Premier Mario Monti geben. Danach, am Montagabend, könnte ein Krisentreffen zu Griechenland hinzukommen.

So oder so wird der EU-Gipfelbesuch, der ausgerechnet während eines Generalstreiks in Belgien stattfindet, kein Spaziergang. Denn bei vielen Regierungschefs hat sich Ärger über Merkels "rote Linien" angestaut.

Beim aktuellen Gipfel handelt es sich um ein "informelles" Treffen, das den nächsten regulären EU-Gipfel Anfang März vorbereiten soll. Daneben soll es künftig aber auch regelmäßige Euro-Gipfel sowie zweimal im Jahr Treffen der neuen Fiskalunion geben. Ob daran Nicht-Euro-Länder teilnehmen dürfen, ist noch umstritten. Deutschland möchte etwa Polen einmal im Jahr einladen, Frankreich gar nicht - schließlich gehe es um den Euro, heißt es in Paris.

Der neue Fiskalpakt wurde von seiner Erfinderin, Kanzlerin Merkel, zunächst als "Fiskalunion" oder "Haushaltsunion" angekündigt. Zudem gibt es auch noch den "Stabilitätspakt für den Euro" sowie das sogenannte Six Pack, mit dem der Stabipakt im letzten Jahr verschärft wurde. Der Fiskalpakt geht nun über beide hinaus und führt noch strengere Budgetregeln ein. Die Grenze für das strukturelle Defizit des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird zum Beispiel auf nur 0,5 Prozent festgelegt. Zudem sollen die Unterzeichner eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild einführen.

Der Gipfel will auch grünes Licht für den neuen Euro-Rettungsschirm (ESM) geben, der im Juli den bisher bestehenden EFSF ablöst. Der ESM kann mehr Geld als der bisherige Rettungsfonds vergeben. Die Euroländer geben Garantien über 620 Milliarden Euro und zahlen 80 Milliarden Euro in bar ein. Von der Gesamtsumme kann der ESM wegen nötiger Sicherheitsrücklagen 500 Milliarden Euro einsetzen. Durch den Kapitalstock soll der Fonds robuster werden als sein Vorgänger gegenüber Attacken von Investoren und Ratingagenturen. Wie bisher schon übernimmt Deutschland den größten Anteil. Berlin sträubt sich aber, den ESM weiter aufzustocken, wie dies etwa Italien fordert. (ebo)

Keine Gnade für Defizitsünder, nicht einmal bei einer schweren Rezession, heißt eine der roten Linien aus Berlin. Keine Verdoppelung des künftigen Rettungsschirms ESM, jedenfalls nicht jetzt, lautet die zweite. Keinen Cent mehr für Griechenland, erst muss Athen seine Hausaufgaben machen, lautet das dritte Gebot aus Berlin.

Eine Zeit lang sah es so aus, als könne Merkel diese roten Linien halten. Doch in den letzten Tagen nahm der Druck an allen Fronten zu. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos wurde er so groß, dass die Kanzlerin bereits vor einer Überlastung der Bundesrepublik warnte. Doch Merkel wird wohl Kompromisse eingehen müssen, wenn sie am Ende nicht wieder als "eiserne Kanzlerin" ohne Herz dastehen will.

Beispiel Griechenland: Berlin fordert einen Sparkommissar, der die Kontrolle über das Budget der Regierung in Athen übernehmen soll - aber die ist strikt dagegen. Verärgert ist aber auch die EU-Kommission. Sie hatte von Deutschland und den anderen Euroländern einen höheren Beitrag zur Rettung Griechenlands gefordert und sich dafür sofort einen Rüffel aus Berlin eingehandelt.

"Brandmauer" soll auf eine Billion Euro anwachsen

Fest steht, dass weder der bisher geplante Schuldenschnitt um 50 Prozent noch das geplante neue Hilfspaket über 130 Milliarden Euro ausreichen, um Griechenland vor der bereits im März drohenden Pleite zu retten. Nach Schätzung der "Troika" aus EU, Europäischer Zentralbank EZB und Internationalem Währungsfonds IWF fehlen mindestens 15 Milliarden Euro. Beispiel ESM: Der neue Euro-Rettungsschirm startet im Juli und soll nach und nach mit 500 Milliarden Euro aufgefüllt werden, um überschuldete Länder wie Griechenland oder Portugal zu helfen. Das sei zu wenig, kritisieren IWF-Chefin Christine Lagarde und Italiens Premier Monti.

Wenn man auch große Euroländer wie Italien oder Spanien stützen wolle, müsse die "Brandmauer" auf bis zu eine Billion Euro anwachsen. Je mehr Geld der ESM erhalte, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, dass er auch genutzt werden müsse, heißt es in Washington. Die Bundesregierung will diese Debatte aber erst beim nächsten EU-Gipfel im März führen.

Beispiel Fiskalpakt: Außer Großbritannien wollen sich zwar alle EU-Länder an dem neuen Abkommen beteiligen, das Schuldenbremsen einführt und Sparen zur ersten Staatspflicht macht. Große Freude dürfte trotzdem nicht aufkommen.

Das Europaparlament hält Merkels Pakt schlicht für überflüssig. Der IWF warnt, strikte Budgetregeln für alle könnten das Wachstum abwürgen und die nahende Rezession in Europa verschärfen. Außerdem stellt sich Polen quer: Obwohl es noch nicht beim Euro mitmacht, fordern die Polen das Recht, an den geplanten zwei jährlichen Treffen teilzunehmen.

Beispiel Wachstumsprogramm: Selbst dieser Punkt, mit dem Merkel ihren Kritikern entgegenkommen wollte, ist umstritten. Denn er soll nichts kosten - Merkel und Sarkozy wollen lieber den 347 Milliarden Euro schweren EU-Fonds für Regionalförderung anzapfen.

Der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn widerspricht: Das Geld sei zwar noch nicht ausgegeben, aber schon fest eingeplant und daher nicht mehr zu vergeben. Für Unmut sorgt zudem, dass der bereits vor einem Jahr versprochene "Marshallplan" für Griechenland immer noch nicht umgesetzt wurde.

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